Hashtag CSE16! Man muss ja mit der Zeit gehen, und so durfte man geduldig entschlüsseln, dass damit nicht ein neuer Wochentag, sondern der sozialnetzwerkende Verweis (hashtag) auf den Comicsalon (cse) 2016 (ok das bekommt ihr jetzt selbst raus) gemeint war – und zwar schon Ausgabe 17, um die Verwirrung komplett zu machen. Erlangen und der Comic-Salon, das gehört zur Stadt schon fast wie ein gewisser führender Elektrogemischtwarenladen: das passt einfach zusammen. So freute sich die Comic-Branche wie jedes zweite Jahr (alternative Austragungsstätte ist bekanntlich München, wo in diesem Jahr zeitgleich ein anderes Großereignis lockte – davon später mehr) auf die neue Auflage der traditionsreichsten Comic-Messe Deutschlands, die vom 26. bis 29. Mai die Tore öffnete.
Das Salz in der eventmäßigen Suppe eines jeden Salons sind natürlich die anwesenden Künstler. Über 500 (!) waren heuer angekündigt, darunter etliche aus dem nahen und fernen Ausland, wenngleich die Dichte franko-belgischer Kollegen in der Vergangenheit durchaus schon höher gewesen sein mag. Vielseitig stellte sich der Splitter Verlag auf: neben den Dauerbrennern Peter Nuyten (der mit Apache Junction 2 im Gepäck anrückte und sich wieder sehr redselig gab) und Ingo Römling (mit dem dritten und letzten Malcolm Max Band im Schlepptau) präsentierte man mit Miguel Vizoso den aktuellen Schlümpfe-Zeichner. Aus Frankreich war Mikaël Bourguoin am Start, der in sein Prohibitions-Opus „Blue Note“ wahre Meisterwerke zeichnete und freimütig erklärte, es handele sich natürlich um ein Portrait von Robert Johnson, um den auch die Graphic Novel „Love In Vain“ kreist. Auch Altmeister und Brite John Bolton war stets guter Dinge und signierte sein aktuelles Werk „Shame“, mit dem er einmal mehr eindrucksvoll seine ganze zeichnerische Klasse zeigt. Ja, und dann „reaktivierte“ man sogar Verlagschef Dirk Schulz, dessen „Indigo“-Gesamtausgabe (im handlichen Ziegelformat) einer der Splitter Jubiläums-Bände ist. Gleich um die Ecke präsentierte Cross Cult u.a. gleich zwei Autoren-Zeichner-Duos: Nic Klein und Ivan Brandon signierten ihren „Drifter“ und den neu erschienenen Auftakt von „Viking“, während der Däne (lügt nie vgl. unser Interview!) Peter Snejbjerg gemeinsam mit dem „Adapteur“ Jan Bratenstein die Ork-Saga verzierte (Romanautor Michael Peinkofer war ab Samstag ebenfalls zu Gast). Bei Tokyopo/Popcom eskalierte einmal mehr der bunthaarige Timo Würz, und die in Brüssel lebende Französin Mobidic (mit Melville nicht verwandt oder verschwägert) beeindruckte mit ihren Dédicaces in ihren preisgekrönten „Bärenkönig“ (Geheimtipp!).
Comicplus fuhr mit Griffo („Giacomo C.“, „Golden Dogs“) franko-belgische Klasse der alten Schule auf, und Panini bot einmal mehr den Spanier Guillem March, der sowohl im Superhelden-Programm („Catwoman“) als auch in der neuen Alben-Sparte vertreten ist (von „Monika“ gab es eine mega-limitierte Sonderausgabe zu erhaschen). Oben bei der „wir machen Kunst“-Fraktion von Reprodukt signierten u.a. 50 % von Kerascoët und ein bestens aufgelegter Cyril Pedrosa, der wegen der Streiklage in Frankreich mit massiven Anreiseproblemen zu kämpfen hatte (ohne Sprit fährt sich schlecht Auto). Und Szene-Guter Geist Eckhart Schott präsentierte mit Marcel Uderzo (genau, der Bruder des Asterix-Schöpfers Albert) den ältesten Gast des Salons, der mit seinen 84 Jahren geduldig nicht nur die neu aufgelegte Reihe „Matthias erzählt“ signierte, sondern auch die Asterix-Bände, an denen er beteiligt war (wobei Bruderherz Albert sich an Marcels Beitrag zum Welterfolg später irgendwie nicht mehr so recht erinnern konnte/wollte). Unser ganz persönlicher Star des Salons allerdings war Andreas. Der gebürtige Deutsche, der in der Bretagne lebt und bei Eddy Paape sein Handwerk lernte, wurde von Schreiber & Leser eingeladen und war erstmals in Erlangen zu Gast. Allzu lange wurde sein Werk in Deutschland sträflich missachtet. Dann brachte Schreiber & Leser die „Cromwell Stone“-Gesamtausgabe, in Folge den kompletten „Rork“ in zwei dicken Bänden (erschien dereinst im seligen „Schwermetall“-Magazin) und nun soll auch sein Hauptwerk „Capricorn“ (ohne das „e“ am Schluss) in Gänze erscheinen. Gesegnet von einem wahren Publikumsansturm (wir mussten die Kollegen am Stand informieren, dass es zeitlich ab 11 langsam eng zum Anstehen wird, wenn der Herr schon um 13 Uhr kommt!), zeichnete Andreas in seinem unverkennbaren Stil (wie bekommt man nur frei Hand so viele parallele Strukturen hin? Immer wieder verblüffend…), schien dabei sichtlich Spaß zu haben und beantwortete Fragen in perfekt-höflicher Manier.
Überhaupt waren die meisten anwesenden Zeichner stets für ein Schwätzchen bereit und offenbarten dabei immer wieder interessante Details. So berichtete Andreas, dass die deutsche Ausgabe von „Unsterblich wie der Tod“ (erschien bisher nur 1990 bei Carlsen) von Übersetzungsfehlern nur so wimmele („auf jeder Seite mindestens einer“), die auch auf sein Insistieren (und trotz Übersenden einer korrigierten Fassung!) nicht berichtigt wurden. Peter Nuyten („Apache Junction“) gewährte einen ersten Einblick in sein neues Projekt, das sich – wie immer akribisch recherchiert – mit der niederländischen Kolonialgeschichte in Südostasien beschäftigt. John Bolton („Shame“) zeigte sein kleines Notizbuch, das den ersten Teil seines neuen Comics (was es ist, verraten wir nicht) in bereits ausgearbeiteten Skizzen und Panelstrukturen enthielt – und von seiner Frau mit Argusaugen bewacht wird. Ben Gijsemans erklärte die komplexe Farbgebung seines Erstlings „Hubert“ (neu bei Jacoby & Stuart), die in voller Absicht an (ur)alte Zeitungscomics erinnert. Originalseiten daraus konnte man in der Ausstellung im Kunstmuseum besichtigen (Schwerpunkt waren hier Comics aus Flandern und den Niederlanden). Überhaupt: die flämisch/holländischen Zeichner, darunter auch Simon Spruyt, dessen Graphic Novel „Junker“ wir bereits gewürdigt haben, beeindruckten mit einem Magazin (Parade), das täglich (!) erschien und direkt in einem mobilen Atelier im Rathaus gezeichnet sowie produziert wurde. Leiter des Projektes war der Allround-Künstler Joost Swarte (dem wir den Begriff der „Ligne Claire“ verdanken), der bereits Erlangen-Erfahrung mitbrachte und auch gerne mal nebenher seine Comics signierte.
Ein weiterer Schwerpunkt in diesem Jahr waren allfällige Jubiläen. Verlage feierten runde Geburtstage (Splitter, Edition Moderne, Cross Cult, Avant), während Egmont ganz auf eines seiner Zugpferde setzte: Lucky Luke begeht putzmunter seinen 70., weshalb man Achdé, den aktuellen Zeichner des Lonesome Cowboys, auffuhr. Auch Matthieu Bonhomme („Der Marquis von Anaon“, „Esteban“) durften wir begrüßen, der einen Hommage-Band in seinem realistischeren Stil zeichnete, von dem eigens für Erlangen eine (leider zu teure) auf 444 Stück limitierte Vorzugsausgabe in schwarz-weiß produziert wurde. Natürlich wurde dem Mann, der schneller schießt als sein Schatten, sowie dessen Schöpfer Morris auch eine Ausstellung gewidmet, die in der Ladengalerie Altstadtmarkt beheimatet war. Und das fundierte Fachmagazin „Reddition“ beschäftigt sich in einer Sonderausgabe nur und ausschließlich mit der franko-belgischen Comic-Ikone, die auch leibhaftig (z.B. in Form von Menschen mit lustigen Luke-Hüten) die Gänge und Außenbereiche des Salons unsicher machte.
Apropos Ausstellungen: die waren wieder über ganz Erlangen verteilt, mit dem Herzstück im großen Saal der Heinrich-Lades-Halle. Dort platzierte der Veranstalter vier völlig unterschiedliche Ausstellungen – in thematischer sowie geographischer Hinsicht, die auch gerade deshalb die Neugier der Besucher weckten. Die gingen von politisch brisanten Themen (Comics und Satire in der Türkei) über eine Werkschau der Autorin Marguerite Abouet (Aya), die auch anwesend war und am Stand des deutsch-französischen Instituts signierte, bis zu einem exotischen Einblick in die Comicszene Indiens (Rising India – Aspekte des indischen Comics). Im Mittelpunkt stand jedoch die große Ausstellung des Werks des berühmten japanischen Mangakas Jiro Taniguchi, dessen Comics bei uns eher als Graphic Novels denn als Mangas vermarktet werden, der selbst allerdings leider nicht anwesend war. Etliche Originale und ein verblüffend detaillierter Zeichenstil luden zu einem ausgiebigen Studium und zu längerem Verweilen ein. Auch „Ikarus“, seiner Zusammenarbeit mit Moebius (derzeit aktuell bei Schreiber & Leser), wurde ausreichend Platz eingeräumt. Auf dem Schlossplatz beeindruckte die Kinky & Cosy Experience (dt. beim Avant Verlag) mit ihrer aufwändigen, interaktiven wie witzigen Machart nachhaltig die Besucher.
Kein Festival ohne Preisverleihung: wie immer wurde in mehreren Kategorien der Max-und-Moritz Preis verliehen. Comedy-Nudel und Comic-Nase Hella von Sinnen führte erneut bewährt durch die Gala im Markgrafentheater, welche Besuchern zufolge auch einmal mehr einen Tick zu lange dauerte. Beste/r deutschsprachige/r Comic-Künstler/in wurde Barbara Yelin (auch aufgrund ihrer aktuelle Graphic Novel „Irmina“), den Preis für ihr Lebenswerk erhielt die Französin Claire Bretécher, die gesundheitsbedingt leider nicht anwesend sein konnte (Liste der Preisträger siehe weiter unten). Eines allerdings war komplett neu – denn für uns selbst brachte der Comicsalon ein Novum: wir reisten früher ab als gewohnt. Ernsthaft. Nicht weil wir die Nase voll hatten, mitnichten. Vielmehr wartete als Kontrastprogramm ein Wochenend-Workout der ganz anderen Art auf uns: das Rockavaria-Festival in München nämlich, wo ein vielfältiges Programm durchaus lauter Musik unserer harrte und einen Mitstreiter sogar schon am Freitag entführte (in München sieht man sich im nächsten Jahr beim Comicfestival, u.a. mit Terry Moore und „Spion und Spion“-Zeichner Peter Kuper). Aber das ist eine andere, nicht minder interessante Geschichte, die man in einer uns nahestehenden Postille nachlesen kann… (bw/hb)
Alle Max-und-Moritz Preisträger des Comic-Salons 2016:
Beste/r deutschsprachige/r Comic-Künstler/in: Barbara Yelin
Preis für das Lebenswerk: Claire Bretécher
Bester deutschsprachiger Comic: Madgermanes von Birgit Weyhe (avant verlag)
Bester internationaler Comic: Ein Sommer am See von Mariko Tamaki und Jillian Tamaki (Reprodukt)
Bester deutschsprachiger Comic-Strip: Das Hochhaus. 102 Etagen Leben von Katharina Greve (Webcomic)
Bester Comic für Kinder: Kiste von Patrick Wirbeleit und Uwe Heidschötter (Reprodukt)
Publikumspreis: Crash ‘n‘ Burn von Mikiko Ponczek (Tokyopop)
Beste studentische Comic-Publikation: Wunderfitz der Münster School of Design
Spezialpreise der Jury: avant-verlag und Katharsis von Luz (Fischer)
(Copyright Plakat: Internationaler Comic-Salon Erlangen)