London, 1820: die East India Company lässt England florieren, die Reichen werden reicher und sonnen sich in der angeblich gottgewollten Teilung der Gesellschaft, die Richter Aaron mit harter Hand gegen alle Diebe und sonstige aufmüpfigen Geister verteidigt. Wer stiehlt, und sei es auch nur, um die Familie vor dem Verhungern zu retten, wird publikumswirksam aufgeknüpft. Das hält einige wagemutige Abenteurer nicht davon ab, die verhasste Herrscherschicht ins Visier zu nehmen: die Harlow Twins führen ihre Bande, die Black Birds, bei brutalen Raubüberfällen an und avancieren schnell zu Volkshelden in den Kaschemmen der Stadt. Dann tritt der zwielichtige Orwood an, um sie zu übertrumpfen: viel raffinierter, viel allumfassender will er die reichen Lords und Geschäftsleute attackieren, um dabei entweder frei zu werden oder unterzugehen.
Dafür rekrutiert er einen bunten Haufen an Mitstreitern, die er zu einem schlagkräftigen Quartett formt: die Prostituierte Fanny, die seit einem rauen Zusammentreffen mit den Harlows noch ein Hühnchen mit den Birds zu rupfen hat, soll bei ihren Kunden nach lohnenden Opfern Ausschau halten. Die eigentlich zur Deportation in die Kolonien verurteilte Lucrezia inszeniert gekonnte Täuschungen, und der Opernsänger und Kastrat Lario schlägt, oft im Schutze von künstlerischen Masken, erbarmungslos zu. Ein erster Beutezug, bei dem eine Seance zu Ehren einer toten Katze um diverse Pfund erleichtert, funktioniert mit Hindernissen – und Lucrezia wird vom anwesenden Richter Aaron erkannt. Im zweiten Anlauf macht man es besser und überfällt einen brutalen, illegalen Hundekampf, um sich erhebliche Wettgelder unter den Nagel zu reißen. Spätestens seit diesem Coup werden die Golden Dogs, wie Orwood seine Truppe nennt, zur ernsthaften Konkurrenz für die Black Birds – aber Orwood führt ein Doppelleben, und einer der vieren ist ein Verräter, wie uns ein rückschauender Kommentar gleich eingangs verrät…
Der emsige belgische Autor Stephen Desberg (uns bestens bekannt als Partner von Enrico Marini, für den er die historische Serie ‚Der Skorpion‘ schreibt – wie auch schon vor Jahren ‚Der Stern der Wüste‘ – auch wenn das Marini eigentlich gar nicht so gut gefällt, wie dieser uns das im Interview scherzhaft verraten hat) entwickelt hier eine finstere Fabel in bester Charles Dickens-Manier, die wie ‚Oliver Twist‘ oder ‚Great Expectations‘ durchaus realistisch die sozialen Zustände im London der aufkeimenden Industrialisierung schildert, die Ausbeutung der Arbeiter unter heuchlerisch christlicher Argumentation (der Reichtum ist Zeichen von Gottes Segen, so erklärt der Richter mit dem biblischen Namen die Welt ganz im Sinne der Calvinisten), das harte Dasein in den Elendsvierteln der Stadt und die ungezügelte Doppelmoral der herrschenden Kaste: in einem Edelbordell kommt Fanny problemlos mit Würdenträgern und ehrbaren Kaufleuten gleichermaßen in Kontakt, die ihr willig alle Geheimnisse preisgeben, die für die erfolgreichen Räubereien gebraucht werden.
Dabei entsteht allerdings keinerlei Sozialromantik: keinesfalls wollen die Golden Dogs als Robin Hoods ihre Beute unter den Armen verteilen, das Verbrechen nur Mittel zum Zweck, um aus dem Elend zu entkommen. Was genau der finstere, offenbar auch sado-maso-Spielen zugeneigte Orwood im Schilde führt, das spart Desberg für Band 2 auf. Griffo (bürgerlich: Werner Goelen), der in historischen Stoffen ja kein Neuling ist, inszeniert das Geschehen mit kräftigem Strich, mit funny-artigen Figuren inklusive leicht kantigen Gesichtern, die allerdings auch in gewalttätigen und sexuell expliziten Szenen anzutreffen sind. Die Stadt selbst übernimmt in Form von Bauten wie Westminster, Houses of Parliament oder dem Gerichtsgebäude eine eigene Rolle als historische Verortung und atmosphärischer Staffage, während sich das eigentliche Geschehen in finsteren Hinterhöfen und düsteren Absteigen abspielt, die in stimmiger Farbgebung in dunklen Pastelltönen gehalten sind. Somit also eine atmosphärisch dichte, historisch angehauchte Gangsterballade mit doppelbödigen Charakteren und viel Überraschungspotenzial. Der Band erscheint im Rahmen der Alben-Reihe von Panini. (hb)
Golden Dogs, Band 1: Fanny
Text: Stephen Desberg
Bilder: Griffo
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Verlag
13,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-451-7