Mathias erzählt, Band 1 (Salleck)

Juli 1, 2015

Mathias erzählt, Band 1 (Salleck)

Frankreich, frühes 19. Jahrhundert: in einem kleinen, wenn auch nicht gallischen Dorf, sondern in der Normandie, lebt der alte Mathias, der als Sonderling und Bürgerschreck gilt. Die drei Racker Norbert, Bastien und Antoine lassen sich davon aber nicht abschrecken und werden reich belohnt: der skurrile Alte hat nämlich jede Menge spannende Geschichten auf Lager, die er ihnen bereitwillig ausbreitet. Als junger Mann, so berichtet er den staunenden Zuhörern, sei er geflohen vor seinem Ziehvater, der ihn mehr als Dienstbote denn als Sohn behandelte, damals, 1750. Träumerisch-naiv macht er sich auf den Weg nach Kanada, in die ferne Kolonie, wo sich die Franzosen mit den Engländern um die Vorherrschaft über Land und Leute herumkeilen. Dieses Vorhaben wird tatsächlich Realität, als er dem flüchtigen Ganoven Louis Acne de Malaria in die Hände fällt, der Mathias kurzerhand seiner Bande einverleibt und ihn mit aufs Schiff packt, auf dem er dann mittels Meuterei die Herrschaft an sich reißt.

Bei der Ankunft in Neufrankreich wird er allerdings von Malaria getrennt und wird im Wald vom Trapper Baptist Bärenpelz, einem echten Original, und seinem indianischen Kompagnon namens Tag ohne Brot aufgelesen. Ein Bärenjunges, das er später Titan nennt, nimmt Mathias ebenfalls in seine Obhut und schließt sich mit seinen neuen Freunden der französischen Armee an. Gleichzeitig spielt Malaria, der den Franzosen aus seiner Zeit in Kanada in schlechtester Erinnerung geblieben ist, sein ganz eigenes falsches Spiel: durch einen Trick entreißt er dem beim Bostoner Gouverneur Lord Toby O’Rnottoby in englischer Gefangenschaft schmachtenden alten Indianer Feuerwasser ein brandgefährliches Geheimnis. Auf dem Friedhof der Indianer befindet sich eine Zaubertrommel, die jedem Krieger die Macht eines ganzen Stammes verleiht – was die Waage im Krieg England gegen Frankreich natürlich entscheidend zum Kippen bringen könnte. Feuerwasser gelingt die Flucht zu den Franzosen, denen er ebenfalls von dieser Wunderwaffe berichtet, und so machen sich zwei feindliche Trupps auf den Weg zum Berg des Kriegers ohne Skalp, wo in einer geheimen Höhle die mächtige Zaubertrommel versteckt sein soll…

So sah die Nr. 1 1982 bei Ehapa aus

So sah die Nr. 1 1982 bei Ehapa aus

Eckart Schott legt mit diesem liebevoll gestalteten Band wieder einmal ein Juwel der Comic-Geschichte kenntnisreich neu auf: die Reihe ‚Les mémoires de Mathias‘ entstand schon Anfang der 80er Jahre als Gemeinschaftsarbeit des Autors Michel Clatigny, besser bekannt als Moloch (der mit den Watchmen allerdings nie Ärger hatte…), mit Marcel Uderzo, dem Bruder eines gewissen Albert Uderzo, der als Asterix-Zeichner zweifelsohne zu den einflussreichsten Comic-Künstlern aller Zeiten zählt. Dass die Mathias-Reihe, deren drei Bände in Deutschland unter dem Titel ‚Matti erzählt‘ bei Ehapa bzw. Arboris (Band 3 als ‚Die Abenteuer von Matthias‘) erstmals das Licht der Welt erblickte, denn auch mehr als einmal an Asterix und Umpah-Pah erinnert, kann somit kaum überraschen. Marcel arbeitete in der Tat jahrelang bei der fulminant erfolgreichen Serie seines Bruders als Tuscher mit (übrigens auch an dessen Fliegerserie Tanguy & Laverdure) und soll nach ungesicherten Quellen sogar einige eigene Beiträge geliefert haben (u.a. eine Seite der Album-Ausgabe des Debüts ‚Asterix der Gallier‘ sowie eigene Geschichten wie etwa ‚12 Prüfungen für Asterix‘), auch wenn Albert später die Leistung seines Bruders nicht unbedingt so honorierte wie man sich das in einer netten Familie üblicherweise so vorstellt.

Wenn auch Marcel nie den Ruhm seines (vielleicht auch nur geschäftstüchtigeren) Bruders erreichte, sprüht auch sein Werk von Erfindungsreichtum und von Clatigny beigesteuertem Sprachwitz, der dem Feinsinn von Goscinny in nichts nachsteht. Die durchgängig genialen Namen, von Eckart Schott kongenial übersetzt, allein schon bereiten einen diebischen Spaß – so etwas heißt das von Malaria gekaperte Schiff Titanique und rammt im Hafen von Boston eine Schaluppe namens Iceberg, der mächtige Schamane Bulle auf dem Dach steht dem Stamm der Schubidubaah-Krieger vor, und Malaria muss sich mit dem stets grimmig dreinblickenden Engländer Saurian auf die Suche machen.

Eingebettet ist dies in eine wohlig-schön traditionell entwickelte, klassische Abenteuergeschichte, die mit schusseligen Soldaten und rauschenden Banketten an Asterix erinnern. Im Gegensatz zu Asterix, wo der historische Hintergrund eher anekdotenhaft erscheint und aktuelle satirische Seitenhiebe und gekonnt-liebevolle Entlarvung von Klischees über Volksgruppen und menschliche Schwächen den Reiz ausmachen, weshalb diese Serie ja als einziger Comic selbst hierzulande bildungsbürgerlich „genehmigt“ ist, bietet die Historie hier allerdings nicht nur eine konkrete Verortung mit Landkarten und Jahreszahlen, sondern liefert auch ein zentrales Handlungselement (Konflikt der Engländer und der Franzosen um die Kolonien), das um frei erfundene Personen und übernatürliche Elemente ergänzt wird. Umgesetzt ist das von Uderzo im klassischen französischen funny-Stil, der eng an Asterix angelehnt ist. So entsteht eine im besten Wortsinne traditionelle Geschichte, die mit klugem Witz die Atmosphäre des gallischen Dorfes mit der historischen Verankerung eines Lederstrumpf kombiniert und als Ergebnis einen fesselnden Lesespaß erzeugt.

Für die Neuauflage, die eigentlich mehr ein kompletter Neustart ist, präsentiert Eckart Schott eine von den kreativen Köpfen deutlich erweiterte Fassung des ursprünglichen Band 1, die (von Didier Ray und Diego Parada López) neu koloriert und von ihm selbst gewohnt werktreu und findig frisch übersetzt wurde (inklusive einer launigen Anmerkung, dass er dem Leser das Sprachkauderwelsch des Trappers Bärenpelz aus der Vorlage nicht in Form von Pfälzisch oder Berlinerisch zumuten möchte). In Band 4 schließlich dürfen wir uns auf vollkommen neue Abenteuer von Mathias und seinen Kumpanen freuen. Wunderbar! (hb)

Mathias erzählt, Band 1: Die Zaubertrommel
Text: Moloch (d.i. Michel Clatigny)
Bilder: Marcel Uderzo
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Salleck Publications
Eckart Schott Verlag
15 Euro

ISBN: 978-3-89908-575-4

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