Comicfestival München 2015

Juni 9, 2015

Plakat Comicfestival München 2015

Sommer, Sonne, mit einem kühlen Getränk in der Hand entspannte, schöne Menschen beobachten, die sich in attraktiver Bekleidung tummeln und das Leben genießen. Genau das, ja das hätten wir haben können, an diesem ersten Wochenende im Juni, als über unserer Landeshauptstadt die Sonne lachte, als wolle sie diversen Wüstenstaaten die Weltmeisterschaft doch noch streitig machen. Dazu hätten wir uns aber wohl an einen der überfüllten Badeseen begeben müssen – aber nein, das wollten wir ja nicht, wir zogen es ja vor, bei täglich steigenden Temperaturen früh bis spät durch wahlweise schlechte Luft oder gleißende Innenhöfe zu schlendern und dabei mehr als einmal das Gegenteil von adrett gekleideten Zeitgenossen zu bestaunen. Das kann nur eines bedeuten: es war wieder soweit, die Welt der Comics gab sich in München die Ehre, und anstelle nackert durch den englischen Garten zu rennen wie weiland die Spider Murphy Gang, wanderten wir vier Tage durch die Alte Kongresshalle.

Der neue Veranstaltungsort

Der neue Veranstaltungsort

Denn nach dem Alten Rathaus und dem Künstlerhaus am Lenbachplatz hat das Comicfestival München seine Heimat 2015 auf der Theresienhöhe, gleich neben dem Verkehrsmuseum und unweit der Bavaria, die im September stoisch über Horden von Sturzbetrunkenen wacht, die nach der Wiesn auf ihrer kleinen Anhöhe umfallen. Nach der durchaus berechtigten Kritik an der Praxis, die „kleinen“ Verlage und die Independents auszulagern, erreichten die Veranstalter um Heiner Lünstedt und Wolfgang J. Fuchs damit das Ziel, alle Aussteller wieder unter einem Dach zu versammeln. Und auch das Versehen, einen unsichtbaren Ehrengast einzuladen (wie 2013 den von niemand gesichteten Robert Crumb), machte man mit dem Exil-New Yorker aus Berlin Tom Bunk wett: der skurril dreinblickende Mad-Zeichner präsentierte sich stets jovial-freundlich und signierte unverdrossen. Auch ansonsten hatte das Comicfestival – dieses Jahr unter dem Motto „The British Invasion“ mit Großbritannien als Schwerpunkt – einige Schwergewichte aufzufahren: neben den fast schon etatmäßigen Hochkarätern wie Yoann (Spirou und Fantasio, und nebenbei auch noch gerne zu einem Foto jenseits des bunten Treibens bereit), Batem (anlässlich des Marsupilami–Neustarts bei Carlsen) und Felix Meynet (u.a. Sauvage), die mit diversen anderen die franko-belgische Fahne hoch hielten, lockten illustre Briten wie Mark Buckingham (der u.a. die geniale endlos-Serie Fables kongenial bebildert), Declan Shalvey (Zeichen-Partner bei Warren Ellis‘ Moon Knight Reboot) und Altmeister Bryan Talbot (Sandman, Grandville, Batman, Luther Arkwright) die Schlachtenbummler.

Eddie Campbell

Eddie Campbell

Die Freunde der US-Fraktion wurden mit Mike Perkins, Clint Langley und Jock bestens versorgt. Daneben standen Attraktionen von nahezu schon legendärem Ruf: mit Eddie Campbell hatte man den Illustrator von Alan Moores Jack the Ripper-Jahrhundert-Epos ‚From Hell‘ im Aufgebot, Duckburg-Ehrenbürger Don Rosa bediente die Donaldisten, und spätestens bei der Bekanntgabe des Erscheinens des unglaublichen Dave McKean, der mit seinem unnachahmlichen Stil die Cover von Miracleman, Sandman und auch Batman (Arkham Asylum!) unverkennbar prägte, dürfte einigen von unseren bekannten Besuchern der Körperflüssigkeitshaushalt noch mehr aus dem Ruder gelaufen sein als ohnehin üblich. Die Feuilleton-Front dagegen durfte sich mit diversen Ausstellungen und Vorträgen vergnügen, unter anderem zum Gastland Großbritannien (u.a. mit Auszügen aus Alan Moores Skript zu Watchmen, inkl. Originalseite), zu den Beatles im Comic, 75 Jahre Will Eisners Spirit, einen Blick in die Werkstatt von Graphic Novel-Aushängeschild Reinhard Kleist und einer Hommage an Peter Puck, dessen Gagfest Rudi mittlerweile 30 Jahre zählt. Feiner Zug: der umtriebige Eckart Schott, der sich über die Jahre nicht zuletzt durch viele Künstler-Einladungen um die Szene verdient gemacht hat, wurde zum 25jährigen Verlagsjubiläum seiner Salleck Publications mit einer Ausstellung und dem PENG!-Preis für „besondere Leistungen für die Münchner Comicszene“ geehrt.

Immer gut gelaunt: Mark Buckingham

Immer gut gelaunt: Mark Buckingham

Also alles bereit zum hemmungslosen Ansturm auf die Kongresshalle? Eigentlich eher weniger. Denn sei es die Hitze, den für jegliche Passanten doch ein wenig entlegenen Veranstaltungsort (zumal die samstägliche Comicbörse am anderen Ende der Stadt in der Tonhalle am Ostbahnhof plaziert war) oder die immer spitzer werdende Zielgruppe von Events dieser Art: so richtig mehr als 300-400 Besucher bevölkerten die altehrwürdigen Räumlichkeiten zu keiner Zeit, die Präsenz von Großverlagen wie Panini war im Vergleich etwa zum Co-Austragungsort Erlangen auch räumlich spürbar zurückgenommen (Splitter war gar nicht da), und die Ausstellung zum Marsupilami (Yoann und Batem) war dann doch eher überschaubar. Umso mehr war man allerdings unter sich, und so konnten die eigentlichen Spiele, die Außenstehenden für immer verschlossen bleiben dürften, beginnen: wie jedes Jahr wurden die als Rollkoffer getarnten Wohnzimmer an die Startlinie gebracht, die Sandalen mit farblich gewagten Stricksocken bestückt, das XXL-TShirt übergestreift und die Haarkränze offenbar schon im Vorfeld benetzt. Denn die Hatz nach den Zeichnungen, nach der persönlichen Dédicace, erforderte erneut alles an Geschick, Stehvermögen und Taktik.

Noch Platz: die Verlagsstände in der Halle

Noch Platz: die Verlagsstände in der Halle

In der zunehmend stickigen Luft der Kongresshalle durfte man wieder entweder eine Nummer ziehen (Salleck), sich dem Würfelglück an den Hals werfen (Panini – wobei gewisse andere Organisatoren wieder das intellektuelle Kunststück vollbrachten, nach jedem erfolgreichen Wurf gleich die Zeichnung anzuschließen und nicht einfach durchwürfeln zu lassen – eine Narretei, die die Bühne stundenlang blockierte, zumal die Regeln ständig über den Haufen geworfen wurden) oder schlicht und ergreifend warten bis man dran war, wie bei Eddie Campbell oder Dave McKean. Letzterer entpuppte sich als durchaus höflich und umgänglich, entschied wie angekündigt selbst, in welches Buch er zeichnete, und warf dann doch deutlich mehr als nur ein Doodle aufs Papier – wohl dem, der eine rare HC-Ausgabe von Arkham Asylum vorlegen konnte, die er offenbar besonders schätzte. Großes Kino! Am Tag drei entlastete man die Bühne, indem man die Signiertische kurzerhand in den Innenhof plazierte – grundsätzlich eine gute Idee, wobei die gnadenlose Sonne Zeuge war und auch hier ganze Arbeit leistete, als sie Mark Buckingham im Gegenlicht nahezu unsichtbar machte.

Watchmen: Originalseite samt Skript

Watchmen: Originalseite samt Skript

Die Gung Ho-Schöpfer Benjamin von Eckartsberg (außer Konkurrenz mit Kindern da, sehr sympathisch) und Thomas von Kummant zogen dann doch ein etwas anders gelagertes Publikum an, als vor allem am Samstag neben den Cosplay-Geschöpfen, die sich wie gewohnt Plastiktüten aufsetzten und mit Pappmaché vollklebten, auch durchaus ansehnliche Damen danach fragten, wo hier denn der Herr Kummant signiere. Das Duracell-Häschen Timo Würz sprang wie gewohnt gutgelaunt – in selbst geschneiderter Hose! – umher und zeichnete im Stehen, Uli Oesterle schaute zum Künstlergespräch vorbei, und Marie Sann, Goran Sudzuka und Tank Girl-Meister Rufus Dayglo präsentieren sich in eigenen Ständen, die mehr aussahen wie Schaukästen. Szene-Urgestein Dieter Kalenbach schlenderte stets taktisch geschickt um die Halle, während drinnen Don Rosa und Felix Meynet sich gegenseitig den Preis als hitzebeständigster Signier-Marathon-Mann streitig machten. Und dann erspähte man immer wieder Enrico Marini, der als Privatmann vor Ort und im Biergarten gesprächig war.

Franko-belgische Klasse: Batem & Yoann

Franko-belgische Klasse: Batem & Yoann

Nach der ersten doch etwas ernüchternden Einschätzung der Dimensionen des Austragungsortes stand so am Ende dann doch noch eine für alle Seiten erfolgreiche, teilweise durch Hitze (von Eckart Schott verwegen mit Stirnband bekämpft) und eigenwilliges Sozialverhalten diverser Teilnehmer auch anstrengende Veranstaltung, die in Dave McKean sicherlich einen klaren Höhepunkt im Gepäck hatte. Und nächstes Mal die Börse bitte wieder etwas näher, damit ich meine fehlenden Ehapa-Supermänner noch bekomme… (hb)

 

Tom Bunk: Preis für das Lebenswerk

Mad-Man Tom Bunk: Preis für das Lebenswerk

 

Und das sind die diesjährigen PENG!-Preisträger:

Preis für das Lebenswerk: Tom Bunk
Bester Deutschsprachiger Comic: Irmina von Barbara Yelin (Reprodukt)
Beste Neuveröffentlichung eines Klassikers: Fliegenpapier von Hans Hillmann (avant verlag)
Beste Comic-Berichterstattung: Der Tagesspiegel
Beste Comic-Sekundärliteratur: 75 Jahre Marvel von Roy Thomas (Taschen)
Beste Comicverfilmung: Guardians of the Galaxy
Bester Online-Comic: Beetlebum von Johannes Kretzschmar
Bester Asiatischer Manga: Der Gourmet von Jiro Taniguchi (Carlsen Verlag)
Bester Deutschsprachiger Manga: 78 Tage auf der Straße des Hasses von David Füleki (Tokyopop)
Bester Nordamerikanischer Comic: Hier von Richard McGuire (Dumont)
Bester Europäischer Comic: Der schielende Hund von Étienne Davodeau (Egmont Graphic Novel)
Preis für „besondere Leistungen für die Münchner Comicszene”: Eckart Schott (Salleck Publications)

 

 

 

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