Regen. Lichterloh brennende Grills. Mehr Regen. Die üblichen Verdächtigen. Noch mehr Regen. Nicht gerade passende Locations. Es regnet. Superstars, die nicht gesehen werden dürfen. Sintflutartiger Regen. Hunde, die Stadionhymnen singen. Regen. Aus.
So oder so ähnlich fällt in der Rückschau die Bilanz des Comicfestivals aus, das wie mehrfach berichtet im zweijährigen Rhythmus abwechselnd mit dem großen Bruder Erlangen in der bajuwarischen Hauptstadt stattfindet. Während sich die halbe Stadt am Triple einer gewissen Fußballtruppe berauscht, zogen wir es daher natürlich vor, die letzten Tage des Mai, genauer gesagt den 29.5. bis zum 2.6.2013 im Künstlerhaus am Lenbachplatz zu verbringen, wo auch 2011 schon der Hauptteil der Attraktionen zu finden war. Auf dem Papier sah das alles wieder extrem vielversprechend aus: als Hauptzugpferd konnte man niemand anders als Underground-Papst Robert Crumb verpflichten, der als Schöpfer von antibürgerlichen, subversiven Satiren wie „Fritz the Cat“ einen geradezu legendären Ruf genießt, mittlerweile zurückgezogen in Frankreich lebt und ein ganz seltener Gast auf Comic-Festivals ist. Große Spannung somit, was von diesem Top-Star zu erwarten war, der in diesem Jahr immerhin seinen 70. Geburtstag begeht und nicht nur seine Ehefrau, sondern auch seinen Kumpel Gilbert Shelton (Freak Brothers) mit im Gepäck hatte. Auch die sonstige Riege ließ nichts zu wünschen übrig, mit Milo Manara war gleich ein weiteres Schwergewicht im Aufgebot, dessen erotische Phantasien seit Dekaden Maßstäbe setzen – und seien wir mal ehrlich, eine gepflegte Sauerei schaut man doch immer gerne an. Gerade dann, wenn sich der Herr Künstler eher rar macht und kaum eine Zeichnung zu erwischen ist.
Für die Freunde franko-belgischer Comics gab es weiterhin mit Baru (Autoroute Du Soleil), Philippe Jarbinet (Airborne 44), Christophe Quet (Travis), José Luis Munuera (Ex-Spirou Zeichner), dem aktuellen Spirou-Zeichner Yoann wertvolles zu entdecken, ebenso wie mit der Italien-Connection Laura Zuccheri (Die gläsernen Schwerter) oder Fernando Bertolucci, der seinen wortlosen Tiercomic „Love“ präsentierte. Italien war übrigens Themenschwerpunkt des Festivals. Gut ausbalanciert, war auch für die Anhänger der Superhelden-Fraktion gesorgt: Lee Bermejo signierte Rorschach, seinen Beitrag zum „Before Watchmen“-Zyklus, der derzeitige Superman-Zeichner Rags Morales war passend zum Man Of Steel-Film anwesend, und Mike Perkins (X-Men) zeichnete einfach alles was man sich wünschte. Das Rahmenprogramm umfasste ebenfalls wie gewohnt gekonnt zusammengestellte Ausstellungen mit zahlreichen Originalen (z.B. 75 Jahre Superman, 75 Jahre Spirou, Wickie, Comics aus Italien) sowie durchaus spannende Künstlergespräche. Dazu gleich mehr.
Das Aufgebot war also enorm, und den Organisatoren Michael Kompa und Heiner Lünstedt ist ein dickes Kompliment umzuhängen, dass sie diese Hochkaräter an die Isarmetropole gebracht hatten. Also alles eitel Sonnenschein? Feinsinnige Geister werden hier nun antworten: Am Arsch! Von wegen Wonnemonat Mai, es goss von Tag eins an wie aus Kübeln und ließ bestenfalls für gefühlte 10 Sekunden pro Tag etwas nach, was der Freude insofern Abbruch tat, als sich das Festival ja auf drei Locations verteilte (von den externen Ausstellungen ganz zu schweigen): Künstlerhaus, Altes Rathaus (für die Independents) und Kolpinghaus (für die Comicbörse am Samstag). Dass diese drei Ortschaften allesamt nicht gerade prädestiniert für einen solchen Event sind, nur beim Künstlerhaus Eintritt verlangt wurde und vor allem der Besucher der Börse aufgrund der allzu gedrängten Örtlichkeit gänzlich ohne Zufuhr von Sauerstoff auskommen musste, das stellen wir einfach wertfrei fest. Die Gerüchte allerdings, dass Robert Crumb nachts in das Künstlerhaus eingedrungen sei, weil er sich grundsätzlich nur im Dunkeln in der Öffentlichkeit aufhält, vermögen wir nicht zu bestätigen.
Eindeutig dagegen war, dass sich die Szene immer mehr zu einem Austragungsort für die Sketch Wars entwickelt, die die eingeschworenen, maximal 30 Fans unter sich ausmachen. Auch wenn heuer einige Vertreter wunderlicherweise nicht am Start waren, wurden unter teils fragwürdigen hygienischen Bedingungen auch dieses Mal wieder unverändert Sandalen, Sacktüten, als Wohnraum genutzte Schrankkoffer, schweißbefleckte Jackets, lückenlose Gesamtausgaben auch der obskursten Artisten und billigste Bespitzelungsmaschen ausgepackt, um nur ja eine der begehrten Dédicaces zu erhaschen. Der Würfelwahn erklomm neue Höhen, als nach der fast schon obligatorischen Massenstürmung der kleinen Bühne nur nach erfolgter Zeichnung vom nächsten Kandidaten gewürfelt werden durfte – eine Narretei, die unter dem allgemeinen Protest dankenswerterweise nicht durchgehalten werden konnte. Wem das Würfelglück hold war, der konnte feine Sächelchen erhaschen, insbesondere Spirou-Künstler Yoann zeigte sich jovial (und nach dem abendlichen Künstlergespräch kamen dann auch die Herrschaften zum Zuge, die am Morgen nicht das Komplettchaos über sich ergehen lassen wollten – komplett mit großem Hurrah um die Widmung „Für Olga“, die ich wieder einmal nicht verhindern konnte und wollte), und Milo Manara war zwar wieder wortkarg, aber warf wacker einen prallen Popo nach dem anderen aufs Papier und erzählte nebenbei, Robert Crumb habe ihm die Unsichtbarkeits-Creme aus seinem Werk „Der Duft des Unsichtbaren“ gestohlen und würde so unbemerkt ständig durch die Gänge schlendern.
In regelmäßigen Abständen zugeführt, hob das allgegenwärtige Landbier die allgemeine Stimmung um einiges, auch wenn die in guter Erinnerung gebliebene Nina dieses Mal leider zu den fehlenden Personen gezählt werden musste. So kam es dann doch zu allerlei frohen Begegnungen, so etwa mit Ingo Römling, der seinen „Malcolm Max“ gut gelaunt und v.a. nummernfrei verzierte und dabei locker berichtete, dass er ja auch für diverse Metal- und Gothic-Alben die Cover gestaltet, darunter so illustre Namen wie Alestorm, Atrocity oder Letzte Instanz. Während sich die Hardcore-Fans bei Nathan Kane den zwanzigsten Bart Simpson holten, unterhielten wir uns lieber mit Manuele Fior – nicht etwa über dessen neuestes Werk „Die Übertragung“, sondern darüber, warum in „meiner Fräulein Else“ mittlerweile drei Originalzeichnungen prangen, was er damit quittierte, dass er die Renzension aus unserer Postille hier äusserst interessiert zur Kenntnis nahm. Die Kritzelfraktion (böses, böses Wort) war weiterhin mit Luke Pearson gut vertreten, der sein Märchen „Hilda und der Mitternachtsriese“ geduldig verzierte und zu Recht den Peng-Preis als bester europäischer Comic nach Hause karrte. Die Freunde der Bleistiftskizzen standen insgesamt jedoch dem Problem gegenüber, dass Reprodukt zwar einiges von Robert Crumb aufgefahren hatte, der Künstler jedoch lediglich einmal kurz auf der Toilette gesichtet und die von den Anhängern in Folge hoch gehandelte Klorolle sofort von der Security verbrannt wurde.
Für bekannt hohe Qualität und angenehm entspanntes Ambiente sorgten wie immer Mirko Piredda, der den Ethan Ringler-Schöpfer Gilles Mezzomo (aktuelle Serie: Die Neue Welt) an Bord geholt hatte, und natürlich Eckart Schott, der sich nach wie vor besonnen nummernverteilend und umgänglich gibt. Seine witzige Pälzer Crew durfte natürlich ebenfalls nicht fehlen, und so entspann sich so manches Gespräch darum, ob der Allmächtige denn den frohgemuten Gebrauch berauschender Gewächse gutheiße, da diese ja eben einfach so vor sich hin wachsen. Auslegungssache, ebenso wie die Frage ob zwischenmenschliche Kontakte auf dem Dach eines Busschens nicht auch statthaft sein sollten. Ganz generell hatten wir an dem Überraschenden, Abseitigen am meisten Freude – so suchten wir vergeblich den Knopf, an dem gerüchtehalber der Dauerwortschwall von Frau Zuccheri beendet werden könnte (auch Italienisch klingt irgendwann mal monoton), bewunderten Helmut Nickel, der mit fast 90 immer noch unentwegt den Winnetou zeichnet bis der große Manitu ihn holt, und holten den geschätzt drei Kilo schweren zweiten Band des Hellboy Universums (limitiert auf 1.222 Stück, Band 1 ist längst vergriffen) in Ziegelform signiert ab (was jedoch nur auf drängendes Nachfragen funktionierte). Dieter Kalenbach schließlich zeichnete mir nicht nur auf spontane Ansprache im Gang einen Lappen (also den Angehörigen eines Volksstammes, nicht das Reinigungsutensil), was sein durchaus unangenehmer ‚Manager‘ noch abgelehnt hatte, sondern gesellte sich später spontan zu uns und erzählte ebenso unterhaltsam wie informativ davon, wie ein gewisser Fernsehschauspieler namens Horst Tappert ihn zum Comic gebracht habe. Und auch, dass Robert Crumb im unweit gelegenen Deutschen Museum im Faradayschen Käfig erwischt worden sei, als er dort den Blitzschlag auslösen wollte, da ein Fan unbotmäßigerweise in einer Gesamtausgabe geblättert hatte. Gerüchte, dass er anschließend die Triple-Feier des FC Bayern gestürmt habe und dort vergeblich von Uli Hoeneß wegen einer Widmung verfolgt worden sei, konnten nicht bestätigt werden.
So gesellten sich dann doch noch kurzweilige Erlebnisse an abendlichen Feuerlöschmaßnahmen (merke: Einweggrills können durchbrennen!) und die Erkenntnis, dass trotz Dauerregen und fehlenden Superstars (Auflösung: Robert Crumb ließ sich an keinem einzigen Tag des Festivals sehen, hielt es nicht für nötig zu signieren oder gar zu zeichnen, und ließ sich zu zwei abendlichen Events herab, die eigens kostenpflichtig waren – dies wollen wir nicht weiter kommentieren. Von wegen antibürgerlicher Underground – komm, schmeiß weg!). Aber zum eigentlichen Superstar der ganzen Sause avancierte unerwarteterweise der singende Schoßkampfhund Django, der Stadionhymnen schmetterte und den Wacköööhn-Schlachtruf schallen ließ. Bis 2015 will er Seven Nation Army für uns einstudieren. Wir sind wieder dabei. (hb)