James Bond jagt Ernst Stavro Blofeld. Mal wieder. Halt, nein! Archibald LeBrock jagt Aristotle Krapaud. Das ist, in einem gemein kurzen Satz, die Story des dritten Grandville-Bandes zusammengefaßt. Und doch nur eine der etlichen Anspielungen und Motive, die Brian Talbot zur großen Freude des Lesers Seite für Seite auffährt: Ein mit Science Fiction Elementen garnierter James Bond Rahmen inmitten einer alternativen Steampunk-Welt, die in einer Gegenwart, in der die Belle Époque noch gegenwärtig ist, spielt. Und die von anthropomorphen Tieren, also Tieren in Menschengestalt, bevölkert wird. Und Menschen. Und Tieren. Bißchen viel auf einmal? Also nochmal. Ausführlich und von vorn:
Die Lage: nachdem vor 200 Jahren Britannien den Krieg gegen Napoleon verlor (also Waterloo andersrum), war es lange ein Vasallenstaat des Empire France, wurde aber vor 23 Jahren nach einem massiven Widerstandskampf unabhängig. Trotzdem ist Britannien noch immer von France geprägt. Man spricht noch gerne Französisch. Folglich heißt Scotland Yard in diesem London Cour D’Ecosse. Die politische Situation in France selbst ist instabil. Vor kurzem ist der aktuelle Kaiser Napoleon gestorben, es gab Unruhen und nun regiert ein Revolutionsrat.
Die Personen: sind Tiere in Menschengestalt. Hauptfigur Detective Inspector LeBrock ist ein Dachs. Sein Assistent eine Ratte. Baron Krapaud ist eine Kröte (franz. Crapaud). Aber es gibt auch Menschen, Kreaturen zweiter Klasse, hier verächtlich Teiggesichter genannt. Und ja, Tiere auch. So sitzt auf Krapauds/Blofelds Schoß keine Katze, sondern eine ‚richtige‘ Kröte.
Das Setting: Steampunk, derzeit ‚In‘, meets Belle Époque (Ende 19. bis Anfang 20. Jahrhundert). Diesmal mit einem Schuß Science Fiction. Man fährt dampfbetriebene Automobile, bedient futuristische Maschinen, betrachtet Daguerreotypien und schaut CNN. Und dann sind da noch Krapauds Automaten, sprich Roboter und Krupps (!) riesige Panzer. Sehr interessant!
Die Handlung: beginnt unmittelbar nach Band 2. Chief Inspector Rocher von der Pariser Polizei bittet inkognito LeBrock und dessen Assistenten Ratzi um Hilfe. Sie sollen den Tod des bekannten Malers Gustave Corbeau untersuchen, der in Paris/Grandville – unter mysteriösen Umständen und von der Polizei scheinbar perfekt bewacht – ermordet wurde. Parallel dazu plant der stinkreiche Industrielle und Kunstsammler Krapaud zusammen mit einigen aristokratischen Gesinnungsgenossen den Umsturz der gegenwärtigen Regierung und damit das Aus der ‚drohenden‘ Demokratie samt Reformen wie Arbeiterrechten, Bildung für alle, Gewerkschaften usw. Um den Masterplan zu verfolgen und in die Tat umzusetzen werden überall in der Stadt jene neuartigen Litfass-Säulen aufgestellt und an wichtigen Orten die Panzer des Mitverschwörers Krupp positioniert, beides offiziell zu Werbezwecken. Inzwischen in Paris angekommen, klärt LeBrock den scheinbar unmöglichen Mord. Doch dann stirbt mit Rodent ein weiterer Maler. Ebenfalls ermordet. Und LeBrock trifft Billie wieder, seine neue Flamme. Bei Ermittlungen in der Kunstszene gelangt schon bald Krapaud ins Visier der britischen Ermittler. Und die Verschwörung, der geplante Umsturz wird bekannt. Aber können LeBrock, Ratzi und Billie noch rechtzeitig eingreifen? Enter James Bond Finale.
Die Anspielungen: finden überall und immer statt. Visuell, im Text, offensichtlich oder auf einer Metaebene. Schon der Titel der Reihe: Grandville ist hier ein Synonym für Paris, weltbekannteste Metropole. Jean Ignace Isidore Gérard, bekannt als Grandville, war ein französischer Karikaturist, der in der ersten Häfte des 19. Jahrhunderts lebte. Sein Markenzeichen war die Darstellung von Menschen in Tiergestalt. Aha. Dann die erwähnten James Bond Anleihen mit einem Oberschurken, einer Generalverschwörung und viel Kawumm im Finale. Und am Ende zieht der Held mit seiner heißen Flamme davon. Auch Q ist ganz ungeniert mit an Bord. Der präsentiert LeBond eine Pfeife, die eigentlich eine Bombe ist (Magrittes „Ceci n’est pas une pipe“ lässt natürlich grüßen). Und Toulouse-Lautrec sitzt neben Aristide Bruant (samt rotem Schal) in einer Künstlerkneipe. Auch der Comic wird wieder gewürdigt. Ein Sprechblasentext bezieht sich, ganz wunderbar in die Handlung eingebunden, auf George Herrimans Klassiker Krazy Kat. Im Bild sind Schlümpfe zu sehen, ebenso haben Kapitän Haddocks Diener, sowie Professor Philip Mortimer (ohne Blake) einen Kurzauftritt. Die Automaten ähneln Archie, jenem Roboter, der bei uns in KOBRA in den Siebzigern bekannt wurde. Und und und… Anspielungen ohne Ende.
Soviel Material kann einen erdrücken, zugegeben. Tut es aber nicht. Statt dessen ist die Story kein komplexes Gebilde, sondern ein gewohnt intelligent konstruierter und vor allem schlüssiger Krimi-Thriller mit einem Schuß Lovestory und durchaus auch Humor. Talbot fügt seine Motive und Hommagen (James Bond, Sherlock Holmes usw.) flüssig in die Handlung ein. Sie stören nicht, sind vielmehr eine Bereicherung. Gleiches gilt für die Exkurse in Kunstgeschichte und Rassenideologie. Das erzählerische und dramaturgische Gleichgewicht bleibt immer gewahrt. Lesen tut das was es soll: Spaß machen. Der bisher beste Band der Reihe, die ohnehin schon in den obersten Sphären schwebt.
Band 4, Grandville Noel, offenbar eine Weihnachtsgeschichte, ist in Arbeit, auch ein Band 5 wird folgen. Talbot, bisher nicht unbedingt für Serien bekannt, macht also weiter. Der Erfolg gibt ihm recht. (bw)
Grandville De Luxe (Band 3)
Text & Bilder: Brian Talbot
104 Seiten in Farbe, Hardcover
Schreiber & Leser
24,80 Euro
ISBN: 978-3-943808-18-6