Nachdem im ersten Band der neuen Spirou-Werkausgabe die Anfänge und ersten Gehversuche des Autors und Zeichners André Franquin geschildert werden (von 1946 bis 1950) und man ganz am Ende einen eigenen Stil herausblitzen sieht, geht’s nun mit Band 2 ans klassisch Eingemachte. Franquin prägt die Serie gleich zu Beginn seines Schaffens für immer, nicht nur weil er inzwischen seinen eigenen, Generationen prägenden Zeichenstil entwickelte, sondern auch indem er als neue Figuren den Grafen von Rummelsdorf und natürlich das Marsupilami einführt.
Doch zuerst ist der Graf dran als „Der Zauberer von Rummelsdorf“, entstanden zwischen Ende 1950 und Anfang 1951. Der residiert in einem recht verfallenen Schloß und versucht sich als verrückter Wissenschaftler. Unbescholtene Bürger fallen aus dem Nichts in Ohnmacht, Kühe geben keine Milch mehr, Kaninchen und Pilze wachsen mannshoch. Ein geheimnisvoller Zauberer muss sein Unwesen treiben, kein Zweifel. Ist es der zwielichtige Zigeuner, der draußen vorm Ort sein Lager aufgeschlagen hat? Spirou und Fantasio, die in Rummelsdorf eigentlich Urlaub machen wollten, ermitteln und geraten selbst in den Bann des Zauberers, der sich bald als der Graf entpuppt. Es folgt eine kleine Gangster-Geschichte um das gestohlene ‚Superhelden-Serum’ des Grafen, das unsere beiden Helden erfolgreich wieder beschaffen. Ein in der Story quasi zweigeteiltes Album, das in der regulären deutschen Albenreihe als die Nummer 1 fungiert.
Im Nachfolger „Eine aufregende Erbschaft“ kommt es nun erstmals zum Vorschein, das Marsupilami, wenn auch noch nicht als Hauptfigur. Franquin bedient sich hier eines geschickten Grundgerüstes, um die Story voranzubringen: um ein Erbe anzutreten, muss Fantasio in Konkurrenz zu seinem zwielichtigen Vetter Zantafio drei ‚Prüfungen’, bzw. Aufgaben bestehen: eine sinnvolle Erfindung machen (Ergebnis: der Fantaschrauber), ein Autorennen bestehen und… ein Marsupilami fangen! Marsupilamis, das weiß man inzwischen, sind äußerst scheu und leben ausschließlich im Dschungel Palumbiens. Und genau da werden unsere Freunde auch fündig. Dass sich die Erbschaft am Ende als Luftschloß erweist, nehmen unsere Freunde sportlich. Schließlich hat man jetzt das Marsupilami.
„Die Entführung des Marsupilamis“ (1952 entstanden) zeigt nun in seiner Gänze das Talent Franquins, sowohl was die Zeichnungen und die Darstellung der Figuren, als auch die Story betrifft. Das Marsupilami, im Zoo nicht gerade glücklich, wird entführt. Im fernen Magnana soll es die Attraktion im Zirkus des diktatorischen Direktors Zabaglione werden. Doch Spirou und Fantasio (ja, und Pips) nehmen die Verfolgung auf, ‚infiltrieren‘ den Zirkus, in dem sich das Marsupilami so gar nicht dressieren lässt. Erstmals ist der Graf von Rummelsdorf als wissenschaftlicher Helfer und Problemlöser mit an Bord, und am Ende findet das Marsupilami seine endgültige Heimat bei unseren beiden Helden.
Zu einem Klassiker, der zeichnerisch zeitlos ist, gehört auch der zeitliche Kontext. Anfang der Fünfziger Jahre war nicht nur das Atom hip, man machte sich auch keine Sorgen um Genmanipulation und fahrende Zigeuner standen stets unter Generalverdacht. Doch lässt Franqins solche Klischees schnell fallen und konzentriert sich auf die Erforschung seiner Figuren und deren Umfeld. Mit dem Marsupilami, einer erstaunlich passenden Mischung aus diversen Tierarten, gelingt ihm früh ein Geniestreich. „Die Entführung des Marsupilamis“ besticht durch eine wunderbare abwechslungsreiche Erzähltechnik – die nächtliche Verfolgungsjagd mit komplett schwarzen Figuren (später sollte sich Franquin mit „Schwarze Gedanken“ einmal ganz dieser Farbe widmen) im Zoo ist Slapstick pur und könnte auch von Buster Keaton stammen. Auch die lustlos langsamen wie nervigen Zöllner machen Laune und im Zirkus scheint sich Franquin – übrigens wie auch auf der Rennstrecke – sowieso heimisch zu fühlen. Ein großer Spaß für alle Altersklassen, damals wie heute.
Bleibt die Frage: brauche ich die neue Gesamtausgabe, wenn ich die auch sehr sorgfältig und liebevoll editierte Albenedition der Serie bereits besitze (für die es schmucke blaue Motivschuber gibt)? Die erscheint seit 2003. Dort ist man bereits durch und auf dem aktuellen Stand – jüngst erschien mit der Nummer 52 das neueste Spirou-Album. Zumindest ist hier in der Gesamtausgabe das Sekundärmaterial unterschiedlich und umfangreicher, bietet eine ‚geschlossenere Informationsdecke‘ im Fließtext, während in den Alben die Infos häppchenweise aber gezielt daherkommen. Natürlich bringt die Gesamtausgabe mehr und andere zeitgenössische Abbildungen mit Erläuterungen. Und Experte Volker Hamann wirft einen fundierten Blick auf die deutsche Spirou-Historie, die ja bereits vor der Kauka Ära im Heiteren Fridolin Ende der Fünfziger Jahre begann. Damals hatte übrigens das Marsupilami seinen Originalnamen, ehe es Kauka-typisch verwurstet wurde und auf den Namen Kokomiko hören musste. Insofern ist die Gesamtausgabe für Neuleser absolut geeignet und Fans werden eh noch einmal zugreifen. Zunächst werden in acht Bänden die Franquin-Alben veröffentlicht. Ob es danach nahtlos mit den Fournier-Spirous weiter geht, werden sicher auch die Verkaufszahlen entscheiden.
Wer es noch klassischer möchte und einen Blick auf den Spirou vor Franquin werfen will, dem sei die Spezial Albenreihe empfohlen. Dort erscheinen nicht nur aktuelle Einzelbände, sondern auch die Geschichten des Spirou-Erfinders Rob-Vel, alias Robert Velter. Mit dem Album ‚Notlandung auf Zigomus’ (Band 18) wurden diese jüngst abgeschlossen. Damals schrieb man das Jahr 1943. Die Grenze zwischen Frankreich und Belgien war kriegsbedingt dicht und der Franzose Velter konnte seinem belgischen Verlag keine Zeichnungen mehr liefern. Er sah sich gezwungen, seine Figur an den Verlag zu verkaufen. Anschließend übernahm Altmeister Jijé die Serie, bis dann Franquin zum Zuge kam. Glücklicherweise. (bw)
Spirou und Fantasio Gesamtausgabe, Band 2:
Von Rummelsdorf zum Marsupilami (1950-1952)
Text & Bilder: André Franquin
208 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
29,90 Euro
ISBN: 978-3-551-71622-4