Jacques Tardi singt! Ralf König stolziert im Glitzerfummel umher! Mr. Bean persönlich durchstreift die Ausstellungshallen! Rollende Wohnzimmer werden wieder in Stellung gebracht! Klaus Janson zeichnet im Tiefschlaf! Alle diese Aussagen treffen in der Tat auf den 16. Internationalen Comic-Salon zu (na ja, für eine braucht man ein wenig Phantasie, dazu später mehr).
Dabei gab es dieses Mal in der heiligen Heinrich-Lades-Halle in Erlangen gleich mehrere Jubiläen zu begehen – seit mittlerweile bereits 30 Jahren versammelte sich die irgendwie immer gleiche Gemeinde der Verlage, Zeichner, Laufkundschaft, Kostümfetischisten und natürlich des Clubs der sozial bedenklichen Skizzenjäger, um auszustellen, neues zu präsentieren, Preise zu verleihen, ein wenig zu stöbern (so viel zum irrelevanten) und um auf gnadenlose Pirsch zu gehen (wir sind ja nicht zum Spaß dort).
Diesjähriges Leitthema gab die 100jährige Wiederkehr dessen ab, was außerhalb des deutschen Sprachgebrauchs gerne als Großer Krieg bezeichnet wird, und da passte das Erscheinen des eigentlich doch sehr zurückgezogenen Jacques Tardi wie die sprichwörtliche Feder ins Tintenfass. Tardi, der sich durch seine jahrelange Beschäftigung mit der Materie in Werken wie Elender Krieg, Soldat Varlot oder Grabenkriegeinen tonnenschweren Ruf geschaffen hat, war wohl der Hauptmagnet des Festivals, was sich durch eine Schlange am Signiertisch dokumentierte, die sich schon Stunden vor Beginn der Sitzung von der Balustrade über die gesamte Treppe hinunterzog. Neben der Präsentation seines neuen Comics über die Kriegserlebnisse seines Vaters Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIb wurde Tardi auch mit einer Ausstellung geehrt.
Zu einem ganz besonderen Moment auch für den Künstler geriet allerdings die Inszenierung seines Werkes im Rahmen eines Konzertes, das seine mitgereiste Ehefrau Dominique Grange am Abend des 19. Juni im Markgrafentheater gab: einer nach Information der Teilnehmer überwältigten Zuhörerschaft (glaubhafte Aussagen wurden von gewichtigen Mitgliedern der bewährten Pfälzer Crew um Eckart Schott getroffen) wurden da Lieder der Sammlung Chansons Contre La Guerre/Antikriegslieder dargeboten, zu der bei Casterman ein gleichnamiges Bändchen mit Illustrationen von Tardi, erklärenden Texten und einer CD erschienen ist. Im Gespräch zeigte sich auch Madame Grange zutiefst gerührt von den Reaktionen, die auch Tardi selbst alles andere als kalt ließen. In Frankreich sei man schon längere Zeit nicht mehr in dieser Form aufgetreten, so die Grande Dame, aber für Erlangen habe man gerne eine Ausnahme gemacht. Großer Respekt!
Das Aufgebot ließ auch sonst bei erneut mehr als 200 Ausstellern wenig zu wünschen übrig – für die Freunde der franko-belgischen Schule gingen zum Beispiel noch Peter Nuyten mit seinem Western Apache Junction (die Gelegenheit nutzten wir für ein spannendes Interview), Marc Lizano mit seiner Graphic Novel Das versteckte Kind, der entweder sehr ausdauernde oder an seinem Stuhl beim Schreiber & Leser-Stand festgeklebte, mit Ghost Money (falls das mit den Comics mal nicht mehr klappt, steht für den bärtigen Dominique immer eine Rolle als Alan-Double aus Hangover zur Debatte) oder auch der wie stets höchst sympathische Émile Bravo ins Rennen, der bei Carlsen das alte Loriot-Motto bekräftigte und vor allem die angerückten Kinder mit einer Zeichnung seines Spirou oder Pauls beglückte, was auch einem neuen Mitstreiter in unseren Reihen zum Erfolg verhalf (wobei, Freunde, ein wenig mehr Organisation kann nicht schaden, bitte wenigstens festlegen, ob es jetzt Nummern gibt, gewürfelt wird, das Los entscheidet, die Götter befragt werden – was auch immer, aber bitte die ungeduldig wartende Menge informieren!). Von buchstäblich großem Format zeigte sich auch der amerikanische Comic-Journalist Joe Sacco, dessen aktuelle Publikation, ein sieben Meter langes Leporello, das den ersten Tag der Schlacht an der Somme 1916 darstellt, sich vergrößert als 70 Meter langes Panorama über den Erlanger Schlossplatz schlängelte. Ebenfalls die Ehre gaben sich bei Splitter die Lemuria-Schöpfer Sytse S. Algera und Apriyadi Kusbiantoro und der Franzose Vincent (Chimaira 1887, Die Kapuzinerschule), wobei es hier wie üblich gefragt war, aus einer Menge Überraschungseier die wenigen Glückslose herauszufischen.
Mit Klaus Janson hatte Panini einen fast schon legendären Macher der US-Szene am Start, der nicht zuletzt mit seinen Arbeiten als Inker für Frank Miller (als der noch nicht völlig durchgedreht war) prägenden Werken wie The Dark Knight Returns, der Elektra-Saga oder Daredevil seinen Stempel aufdrückte. Gut gelaunt wagten wir unser Würfelglück und ergatterten so neben Unterschriften auf alten Ehapa- und Condor-Heftchen sogar ein Original-Spitzohr im Skizzenbuch – er könne die Figur mittlerweile im Schlaf, meinte ein angenehm gestimmter Klauson (unser Arbeitstitel für ihn während des Festivals, man muss sich Dinge vereinfachen, wir sind Ü-40), ok, aber bitte nicht jetzt, wir glauben es Dir. Auch unser jüngster Mitstreiter fand Gefallen am Glücksspiel (erzieherischer Auftrag stand hier nicht im Mittelpunkt) und holte sich auf diesem Wege doch tatsächlich einen Wolverine bei Mike Perkins ab – Freude allenthalben.
Für die geduldigen Schlangesteher, Nummernzieher und am nächsten Tag wieder Auftaucher ärgerlich allerdings war es, wenn zu viele Nummern ausgegeben wurden und der Zeichner dann mehr oder weniger zur Eile genötigt war – ein Schicksal, das beklagenswerterweise einige Schlachtenbummler beim eigentlich doch sehr akribischen Stephen Mooney und seinem Action-Spektakel Half Past Danger (Dani Books) ereilte. Mit diesen kleinen Ausnahmen aber konnte die gewohnte Fraktion der Dédicace-Jäger auch 2014 wieder über reiche Beute strahlen, die trotz oder vielleicht gerade aufgrund einer gewissen Gelassenheit und sarkastischer Distanz (unbezahlbar die entsetzen Blicke, wenn man in der Schlange verschwitzter Gestalten – natürlich ironisch – äußert, dass man diesen ganzen Quatsch ja eh nicht liest) mehr an die fällt, die eben ohne wohnzimmergroße Rollkoffer, vergammelte Süßigkeiten, sauren Wein in Bocksbeuteln und hygienisch mehr als fragwürdigen Bein- und Rumpfkleidern unterwegs sind.
Dazu kamen die üblichen Manga-Mädchen, Erwachsene in Pokemon-Kostümen, dräuende Feuilleton-Vertreter, ein absonderlicherweise vollkommen überhitzter Presse-Raum (wir bringen in zwei Jahren ein Klimagerät mit), und abends ein massives Upgrade vom Einweg- auf einen beachtlich dimensionierten Kugelgrill (ein Hoch auf Erlangens Ferienwohnungs-Vermieter). Und England verlor in der WM, somit war doch alles wie es sein sollte. Ach ja, Hella von Sinnen war auch wieder da und verlieh Ralf König den Preis für sein Lebenswerk, den er als Golden Girl in Empfang nahm und damit deutlich unterstrich, wie öde alle Wurst-Wesen dieser Welt dagegen doch eigentlich sind. Zwei Wermutstropfen verbleiben: die Ultimate Hawkeye-Ausgabe von 2012 suchten wir tagelang vergeblich, und aufgrund technischer Rahmenbedingungen konnte das Landbier jeweils erst nach Ende des Tages fließen. Zumindest letzteres wird behoben, wenn wir vom 4. bis zum 7. Juni 2015 die Münchner Alten Messehallen auf der Theresienhöhe heimsuchen. (hb)