Blue Note (Splitter)

Mai 22, 2015

Blue Note (Splitter)

Wenige Wochen vor dem Ende der Prohibition in den USA (1933) stellen sich zwei völlig unterschiedliche Männer ihrem Schicksal. Da ist zum einen Jack ‚Wonderboy‘ Doyle, ein ehemaliger irischer Box-Champion, der nach einem getürkten Kampf unvermittelt die Flucht aufs Land angetreten hatte. Dort wird Doyle Jahre später von seinem windigen wie einflußreichen Promoter Theo Egan zurückgeholt, um den gleichen Kampf noch einmal – unter vermeintlich fairen Bedingungen – auszufechten. Jack ahnt nicht, dass er nur Spielball von Egan und dem Gangsterboss Vincenzo ist. Letzterer betreibt das Speakeasy Dante’s Lodge, einen mondänen Laden, in dem auch die Honoratioren der Stadt verkehren. Zum anderen ist da RJ, ein junger talentierter Bluesgitarrist, den es in die Stadt zieht, um dort Karriere und das große Geld zu machen. RJ landet unvermittelt in eben jenem Speakeasy. Vincenzo engagiert ihn und vom Fleck weg begeistert RJ in Dante’s Lodge das Publikum. Doch seine Mitstreiter neiden ihm den Erfolg. Und dann ist da noch Theo Egan, der immer mehr Einfluss gewinnt und der RJ die Möglichkeit bietet, eine Platte aufzunehmen. Was Vincenzo natürlich nicht durchgehen lassen will. Weder RJ noch Egan.

Äußerst interessanter und origineller Ansatz: die Geschichte zweier Männer, die zur gleichen Zeit spielt (30 Tage vor, bis zum Tag nach Ende der Prohibition), mit denselben Nebenpersonen (Vincenzo, Theo Egan, die Reporterin Lena), in denselben Schauplätzen (im Box-Gym, im Diner und natürlich im Dante’s Lodge). Beide erlangen ganz schnell Ruhm, nur um dann wie eine Sternschnuppe wieder zu verglühen. Aber: bis ganz zum Schluss begegnen sich Doyle und RJ nicht bewusst. Obwohl sie sich mehrmals ganz nahe kommen, erzählen beide eine unterschiedliche, eigene Geschichte. Doyles Story ist im Noir-Stil gestaltet. Er fungiert als Ich-Erzähler mit der typischen lakonisch-fatalistischen Tonlage. RJs Story zeigt einen begabten, naiven Musiker, der nur an seine Kunst denkt und sich damit in Gefahr begibt. So gibt es Szenen mit beiden Protagonisten in einem Raum, die in jeder Geschichte aus einer anderen Perspektive dargestellt werden. Und man muss, um die Handlung des ersten Teils (mit Doyle) ganz zu verstehen, auch den zweiten Teil (mit RJ) lesen. Nur so erschließt sich das Gesamtbild und die Handlungs-Motive der verschiedenen Personen.

Panel aus Blue Note: Atmosphäre ohne Ende

Panel aus Blue Note: Atmosphäre ohne Ende

Neben der clever gestrickten Handlung mit ihren Verschachtelungen zwischen den Storys der beiden Hauptpersonen sind die Zeichnungen von Mikael Bourgouin (‚Der Pfad des Dao‘) ganz klar der Kracher. Die Panels strotzen vor einem unglaublich feinen und detailliertem Strich, der gemeinsam mit den Farben, die äußerst dezent gesetzt sind – oft nur Variationen eines einzigen Farbtons – beinahe an einen viragierten Stummfilm erinnert. Das erzeugt Atmosphäre pur. Man spürt förmlich den Zeitgeist der Dreißiger Jahre, die Zeit der Gangster und des verbotenen Alkohols. Beeindruckend auch die Visualisierung der Musik, bzw. deren Wirkung auf die Zuhörer: wie Wellen, die harmonisch aus der Gitarre explodieren (siehe Cover). Das ist großartig und entfaltet im Double Format sowohl inhaltlich (man liest beide Bände/Geschichten in einem Rutsch) als auch zeichnerisch seine volle Wirkung. Oder, in kurzen Worten: Höchstwertung für ‚Blue Note‘. (bw)

Blue Note
Text: Mathieu Mariolle, Mikael Bourgouin
Bilder & Farben: Mikael Bourgouin
144 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
24,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-134-5

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