Immer mal wieder veröffentlicht das Musée du Louvre gemeinsam mit dem Verlag Futuropolis Comics, die sich mit Inhalt und Geschichte des drittgrößten Museums der Welt befassen. Größen wie Enki Bilal, Eric Liberge oder auch der Belgier Bernar Yslaire (‚Le ciel au-dessus du Louvre‘) konnten für diese Projekte bereits gewonnen werden, bzw. ließen sich gerne dafür gewinnen. Im letzten Jahr gesellte sich der berühmte japanische Mangaka Jiro Taniguchi, u.a. bereits in Angoulême preisgekrönt, zu dieser illustren Künstler-Schar. Jetzt veröffentlicht Carlsen mit dessen ‚Die Wächter des Louvre‘ erstmals einen Band dieser losen Reihe auf deutsch.
Ein japanischer Mangaka, dessen Namen wir nicht erfahren (Taniguchi selbst?), besucht, nachdem er zu Gast bei einem Comicfestival in Barcelona war, Paris. Von den fünf Tagen plant er alleine drei für den Louvre ein. Doch bereits am ersten Tag erkrankt er, Fieber und Schüttelfrost fesseln ihn ans Bett. Tags darauf geht es ihm besser. Er macht sich auf in den Louvre. Dort wird ihm – noch nicht gänzlich gesundet – schwarz vor Augen. In einem Tagtraum zwischen Fieber und Realität begegnet er im plötzlich menschenleeren Museum einer unbekannten Dame, die zu den Wächtern des Louvre gehört und ihn durch die Räume zur Mona Lisa führt. Es ist die fleischgewordene Nike von Samothrake (für Banausen: das ist eines der berühmtesten Kunstwerke im Louvre). In den folgenden Tagen wiederholen sich die nicht unwillkommenen Tagträume, die ihn stets in die Vergangenheit führen. Unser Zeichner begegnet einem japanischen Maler, der im Louvre westliche Gemälde studiert. Und die Handlung bleibt nicht auf das Museum beschränkt: Tags darauf besucht der Zeichner Auvers-sur-Oise. Dort trifft er – wieder im Tagtraum – auf Vincent van Gogh, der ihm einige seiner frischen Gemälde zeigt. Erneuter Szenenwechsel, wieder im Louvre, wieder in der Vergangenheit. 1939: der Louvre ist geräumt. Die Kunstschätze sollen nicht in die Hände der Nazis fallen. Kein Geringerer als Antoine de Saint-Exupéry berichtet über die überaus aufwändige Evakuierung der Gemälde und Skulpturen. Inzwischen sind statt drei sogar fünf Tage vergangen. Der Zeichner muss zurück nach Japan. Zum Abschluss gewähren ihm die Wächter des Louvre eine weitere besondere Begegnung. Diesmal eine sehr intensive, persönliche…
Taniguchis Comics erscheinen bei uns im Carlsen Verlag und bei Schreiber & Leser. Bei Carlsen werden sie weniger als Mangas denn eher als Graphic Novels vermarktet und stellen eine tragende Säule im entsprechenden Segment des Verlags dar. Was sich dadurch erklärt, dass Taniguchis Zeichnungen zwar ihre Herkunft nicht verleugnen, jedoch auch von Franko-Belgiern wie Giraud beeinflusst werden. Manche attestieren ihnen sogar eine Verwandtschaft zum Ligne Clair Stil. Dies, gemeinsam mit der Tatsache, dass seine neueren Comics meist farbig sind – im Gegensatz zum klassischen Manga – erschließt für seine Werke auch eine andere Käufer- und Leser-Schicht. Sie sind dadurch schlicht und einfach für den westlichen Leser leichter zugänglich. Taniguchis Stil, seine Geschichten, zeichnen sich oft durch einen ruhigen, episodenhaften und beinahe lyrischen Erzählfluss aus (‚Der spazierende Mann‘, ‚Der Kartograph‘). Diese unspektakuläre Art und Weise wird hier durch das große Format des Albums aufgebrochen. Die Architektur und die Kunst des Louvre entfalten sich durch die großen Panels und erzielen eine spektakuläre Wirkung. Die filigranen, in sanften Farben direkt kolorierten Bilder zeigen so ihre ganze Pracht. Ein Effekt, der bei einem Taschenbuch nicht gelänge.
Der Bewusstseinszustand der Hauptperson, das Motiv des Tagtraums, ermöglicht fantasievolle Reisen und Begegnungen in den verschiedensten Epochen. Die Evakuierung der Kunst vor den Nazis ist beinahe dokumentarisch geschildert, rückblickend, zweifarbig. Die Episode mit van Gogh benutzt eine ähnliche Farbpalette wie der berühmte Maler. Und das zentrale Thema des Bandes ist die Verbindung und die Interaktion europäischer und japanischer Kunst. Taniguchi verwendet Zitate eines japanischen Dichters und wir erfahren, dass es bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Japan Ausstellungen mit westlicher Kunst gab und dass Vincent van Gogh wiederum von japanischer Malerei beeinflusst wurde, weshalb Japaner, die Paris besuchen, gerne nach Auvers-sur-Oise reisen, wo der berühmte Maler lebte und starb. Die Verknüpfung europäischer und japanischer Kunst spiegelt sich nicht nur in diesen Episoden der Story und im Zeichenstil Taniguchis wider – auch das Design des Bandes ist eine kulturelle Melange. Zum einen wird die traditionelle japanische Leserichtung eingehalten, zum anderen wird auf das ‚übliche‘ Manga-Taschenbuchformat verzichtet, zugunsten eines übergroßen franko-belgischen Albenformats. Ein sehr schöner Band, der aufgrund seiner ungewöhnlichen Mischung und seiner künstlerischen Ebene eine breite Leserschaft verdient hat. (bw)
Die Wächter des Louvre
Text & Bilder: Jiro Taniguchi
136 Seiten in Farbe, Hardcover-Album
Carlsen Verlag
29,90 Euro
ISBN: 978-3-551-76319-8