Junker (Carlsen)

März 6, 2016

Junker (Carlsen)

Preußen in den Zehner Jahren des letzten Jahrhunderts, die Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Auf ihrem Landgut lebt die Familie von Schlitt. Landadel. Der absolutistisch regierende Vater verlor im Krieg ein Bein. Sein Sohn Oswald wird im Kadetten-Internat in Köslin erzogen. Ein Weg, den auch der jüngste Sohn Ludwig gehen wird. Ihre Mutter lebt im Sanatorium in Davos, wo ihre Schwindsucht behandelt wird. Offiziell. Der wahre Grund ist wohl die Entfremdung von ihrem Mann. Nur in den Ferien besucht die Familie die Mutter. Als Ludwig in die Kadettenanstalt eintritt, ist er in der Hierarchie ganz unten. Fühlt sich deplatziert. Doch dann gewinnt er Respekt unter Kameraden und Vorgesetzten, als sich seine Treffsicherheit mit dem Gewehr (als Bester in seinem Jahrgang) und sein technisches Talent im Umgang mit einem neuartigen Maschinengewehr offenbart. Im Frühjahr 1914 kündigt sich dann hoher Besuch an. Wilhelm II., der preußische König (und gleichzeitig deutscher Kaiser) gibt sich in Köslin die Ehre…

Die Graphic Novel des Holländers Simon Spruyt setzt kurz vor einer Zeitenwende ein. Der Adel, der die Geschicke von Land und Gesellschaft bestimmte, nimmt an Einfluss ab. Die von Schlitts sind noch nicht verarmt, haben aber ganz offenbar ihre besten Zeiten hinter sich. Teile des Herrenhauses sind unbewohnt. Man beschäftigt kaum noch Personal. Trotzdem werden – was will man sonst auch tun – die alten Traditionen gepflegt. Die Kinder werden soldatisch erzogen, siezen Vater und Mutter. Ihre Mutter beschwert sich in ihrem Sanatorium über den aufstrebenden Geldadel, der allzu vertraulich mit ihr kommuniziert. Die Handlung konzentriert sich auf die beiden Söhne. Oswald, der große Bruder, der seine adelige Herkunft und seine militärische Erziehung verinnerlicht hat und trotzdem gegen die Oberen aufbegehrt und so immer wieder mit Strafen belegt wird. Kein Revoluzzer, sondern eher pubertärer Ungehorsam. Und Ludwig, anfangs noch ganz Kind, der mit dem System und seinem König so gar nichts anfangen kann. Der auf seinen Bruder aufschaut und enttäuscht wird. Der dann aber doch seinen Platz findet.

Der Band wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. als bester niederländischer Comic. Die Geschichte ist geprägt von alten Werten und dem Aufbruch in eine neue Zeit, dem ein großes geschichtliches Hindernis im Weg stand: der Erste Weltkrieg. So chaotisch und unbarmherzig die Lage und der Krieg dann die Geschichte verändert, so diffus und abstrakt endet dann auch der Band. Realitäten verschwimmen, die Handlung wird konfus und unbestimmt. Das Nahen und der Beginn des Krieges zerstören alle Ordnung. Spruyt bedient sich hierbei einer starken, symbolhaften Bildsprache. Nur die wichtigen handelnden Personen bekommen klare Gesichter, der Rest wird anonym und gleich mit wenigen, identischen Strichen dargestellt. Der Vater wird oft als unangreifbarer Ritter in martialischer Rüstung abgebildet, nicht minder anonym und erhaben. Und über allen thront der König/Kaiser. Als Riese, der sich den Kindern der Kadettenanstalt annimmt und mit dem Ludwig so gar nichts anfangen kann.

‚Junker‘ passt mit seiner zeitgeschichtlichen Thematik, näherte sich der Beginn des Ersten Weltkriegs vor zwei Jahren doch bereits zum hundertsten mal (siehe unsere Besprechung von ‚Tagebuch 14/18‘). Und gerade sind die unbarmherzigen, sinnlosen Material-Schlachten von Verdun und an der Somme in den Medien präsent (auch mit ihrem hundertsten Jahrestag), die mit ihren unvorstellbar hohen Opferzahlen stellvertretend für die Sinnlosigkeit und Brutalität des Krieges stehen. ‚Junker‘ zeigt nicht, wie alles anfing, sondern ein Portrait der Gesellschaft, die dem Krieg noch mindestens wertungsfrei gegenüberstand. Am Ende sehen wir Ludwig an seinem Maschinengewehr mit den gleichen neutralen Geschichtszügen, wie alle anderen. Als anonymes Rädchen im Kriegsgetriebe… (bw)

Junker – Ein preußischer Blues
Text & Bilder: Simon Spruyt
192 Seiten in blau-weiß, Hardcover
Carlsen Verlag
24,99 Euro

ISBN: 978-3-551-76320-4

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