Comicfestival München 2017

Mai 30, 2017

Eigentlich ist ja schon alles vorbei, wir sitzen noch gemütlich im zauberhaften Biergarten gleich neben der alten Kongresshalle, wo sich zunehmend die Schlachtenbummler und Protagonisten des Tages sammeln, um den Samstag locker ausklingen zu lassen. Und da ereignet sich dann einer dieser kleinen, aber feinen Momente, die die Würze bei diesen Events ausmachen: wir erspähen Rubén Pellejero, der in der Halle noch für die üblichen Tumulte sorgte (immerhin führt der Mann als Zeichner zusammen mit Autor Juan Díaz Canales die legendäre Corto Maltese-Reihe fort) – und schnappen uns den verdutzten Herrn kurzerhand. Wir wollen kein Dedicace, wir zeigen ihm auch nicht unsere vollen Skizzenbücher – nein, wir recken die Hörner zum Metal-Zeichen und machen ein stilechtes Roggenroll-Bild mit ihm. Der gute Rubén weiß nicht recht, wie ihm geschieht, aber findet offenkundig Freude daran, dass er endlich mal etwas anderes sieht und hört als Lobeshymnen auf den neuen Corto-Band „Unter der Mitternachtssonne“. Sicher wäre er auch noch mit uns weiter gezogen, aber sein Tisch rief ihn wieder – aber wir hatten einen wunderbaren, spaßigen Moment.

Der war auch nötig nach dem Marathon der Jäger und Sammler, der unter dem Titel Comicfestival München vom 25.-28.05.2017 in der mittlerweile gewohnten Location (Alte Kongresshalle, gleich oberhalb der Theresienwiese – quasi also beim Oktoberfest) an den Start ging. Co-Veranstalter Heiner Lünstedt ist es mittlerweile gelungen, neben der alten Dame Comic Salon Erlangen den zweiten Fixpunkt am Comichimmel zu etablieren, der sich wohltuend von anderen Kommerz-Sausen vom Schlage der mittlerweile überall aufsprießenden Comic Cons abhebt. Anstelle obskurer B-Movie-„Stars“ und gesalzener Preise selbst für einzelne Signierungen, die doch tatsächlich zeitgleich erstmals auch in München zu haben gewesen wären (eine davon lief just parallel im MOC in München und hatte mit Comics naturgemäß außer dem Namen kaum was am Hut), versammelte der rührige Lünstedt erneut hochkarätige Gäste, darunter natürlich auch wieder die franko-belgische Fraktion, an deren Kommen das Szene-Original Eckard Schott maßgeblichen Anteil gehabt haben dürfte.

Terry Moore

Zugpferd war in diesem Jahr zweifellos der „Strangers in Paradise“-Schöpfer Terry Moore, aber auch Namen wie Enrico Marini (mit dem wir bei der 2015er Ausgabe ein nettes Biergarten-Interview führten) Olivier Schwartz („Spirou“), Alexandre Clérisse („Ein diabolischer Sommer“) oder Nicolas Tabary (der das zeichnerische Werk seines Vaters Jean in den neuen Abenteuern von Isnogud fortführt) trieben Glänzen in die Augen oder auch wahlweise Schweißperlen auf die Stirn und Leibchen der Hardcore-Gemeinde. Die Verlagsszene war nahezu geschlossen anwesend, Schwergewichte wie Panini (wenn auch mit etwas abgespeckter Präsenz) und Egmont waren ebenso am Start wie Cross Cult, Salleck mit der gewohnt sympathischen Pfälzer Crew (und als Zeichner u.a. Jesús Alonso Iglesias), die Kritzel- sorry Kunsthochburg avant (wie immer mit einer ganzen Zeichner-Horde im Gepäck, darunter Hervé Tanquerelle) und Reprodukt (u.a. mit Zeichner Bastien Vivès) oder auch der Carlsen-Verlag, der nebenbei seinen 50. Comic-Geburtstag feierte. Mit Abwesenheit glänzte leider der Splitter-Verlag, der in Erlangen ja üblicherweise immer großen Alarm macht.

Hermann

Dauergäste wie den wie immer hyperaktiven Timo Würz (mit Klobürste…), den wie immer still-höflichen Ralf König oder den Münchner Lokalmatador Uli Oesterle (der seine „Kopfsachen“ vorstellte) konnte man ebenso mühelos erspähen wie den Mad-Zeichner Tom Bunk, der vor zwei Jahren als Peng!-Preisträger noch deutlich belagerter war als dieses Mal. Eben jener Peng-Preis ging im Übrigen 2017 erneut ins Umfeld des berühmten Chaos-Magazins: ex-Chefredakteur Herbert Feuerstein wurde für sein Lebenswerk geehrt, wobei die Preisübergabe schon einige Zeit vorher im Netz kursierte und vor Ort stellvertretend vom deutschen Mad Urgestein I. Astalos entgegen genommen wurde. Neben diesen Aspekten für das bürgerliche Feuilleton ging es allerdings erneut – keine Überraschung – natürlich eigentlich nur um die übliche Hatz auf Originalzeichnungen, die Dedicaces, für die der eine oder andere seine Kinderstube bisweilen vergisst (und das mit dem allmorgendlichen sich Putzen und neue Sachen anziehen, das üben wir auch nochmal, ok?).

Wie gewohnt gab es verschiedene Systeme, um dem Andrang Herr zu werden: vom einfachen Anstellen abgesehen, das auch immer noch praktiziert wird (first come, first serve), durfte man entweder das Würfelglück bemühen, für das dann bei Carlsen ein Spirou von Herrn Schwartz winkte oder bei Panini ein Deadpool respektive eine DC Bombshell der Superhelden-Fraktion Matteo Lolli und Mirka Andolfo. Oder man musste eben einfach früh genug da sein, um eine der begehrten Nummern zu erhaschen, die dann über die Tage von Terry Moore oder Angoulême-Preisträger Hermann abgearbeitet wurden. Da lohnte es dann durchaus, einfach auszuharren – und siehe da, Terry Moore verweilte länger als geplant und verschaffte somit dem einen oder anderen, der schon alle Hoffnung hatte fahren lassen, die begehrte Trophäe. Hermann zeigte sich gewohnt launig und arbeitete Deutsch parlierend im Akkord („One sketch! One signature! Nicht zwanzig! Guten Tag! Auf Wiedersehen!“), für Nicolas Tabary galt es, am Stand von dani books einen limitierten Sonderband zu erwerben – was man natürlich gerne tat.

Etwas verwirrt ob der Spielregeln schienen anfänglich die Herrschaften von China Books, aber Sean Chuang zeichnete geduldig Auftragsarbeiten (wir erspähten einen beeindruckenden Bruce Lee), bevor man dann zum üblichen Modus überging und er seine Graphic Novel „Meine 80er Jahre – Eine Jugend in Taiwan“ direkt signierte und verzierte. Während die Karawane der Dedicace-Jäger je nach nächstem Attraktionspunkt hin- und herwogte und bisweilen Bühne, bisweilen Stände gerne auch panikartig bevölkerte, gab es auch leichtere, dabei aber in keiner Weise weniger attraktive „Beute“. Mit Thilo Krapp unterhielt ich mich trefflich über seine akribisch recherchierte „Krieg der Welten“-Adaption, während er einen famosen Tripod ins Buch zauberte, Paola Antista („Katzen“, bei dani) durfte sich anhören, dass Leute mit Katzen eben anders sind („Oh, do you also have a cat?“ – „No, I do not“), und natürlich holte ich mir bei Oliver Gerke mit dem karierten YPS-Känguru eine Ikone meiner Jugend.

Olivier Schwartz Ausstellung

Natürlich sind die anwesenden Comic-Zeichner bei solch einem Event das Salz in der Suppe. Wobei sich einige Prisen davon auch auf das Drumherum verteilen. Das Programm. Das sind zum einen diverse Workshops und Panels (das Wort entlieh man sich bei den Comic Cons) und natürlich die Ausstellungen. Diese waren heuer qualitativ durchweg top und sehenswert: Beginnend mit einer Werkschau der Arbeiten von Isabel Kreitz (von „Mabuse“ über die Kästner-Adaptionen bis zur aktuellen Graphic Novel „Rohrkrepierer“) über die wunderbaren Originalseiten von Olivier Schwartz (aus seinen frühen „Inspektor Bayard“ Arbeiten aus dem 90ern, „Gringos Locos“ und den Spirou Spezial Bänden) bis zu Ralf Königs schwulen Knollennasen – amüsant und wunderbar präsentiert inkl. „ab 18“ Kabine mit Kleenex-Tüchern… Auch der Geschichte des berühmten „Revolver“-Plattencovers der Beatles, das einst der Deutsche Klaus Voormann zeichnete, war ein Raum gewidmet. Auf der Empore in der Halle gab es dann noch Einblicke in die Werke von Uli Oesterle (bereits zum zweiten Mal) und in Nils Oskamps autobiographische Graphic Novel „Drei Steine“.

Aber zurück zur Halle. Bei allem bunten Treiben dort war offenkundig, dass die viel besungene Laufkundschaft – also die peripher interessierten, die mal durchblättern wollen – eher spärlich vertreten war. Ob es am strahlenden Münchner Frühsommer lag, oder daran, dass die Comicbörse in der weit entfernten Tonhalle stattfand, ob es damit zusammenhing, dass es für Außenstehende nachgerade unmöglich ist, eine Zeichnung eines Hochkaräters zu ergattern (entweder „gab‘s die Nummern schon gestern“ oder „gewürfelt wurde dafür schon heute Morgen“), oder ob die Fanschar mehr und mehr auf die Hartgesottenen schmilzt, die eben immer da sind (was vor allem am Freitag augenscheinlich der Fall war): wir hatten ganz nach dem Überraschungs-Ei-Prinzip Spiel und Spannung. Und vor allem Spaß mit unserem „Brother in Metal“ Rubén. Und darauf kommt es schließlich an, auch wenn wir das Ganze mit dem Disney-Recken Nicolas Keramidas („Mickey’s Craziest Adventure“) dann mal lieber nicht wiederholten. Aber es werden neue Chancen und neue Biergärten kommen. Zumal auch drinnen das berühmte Landbier gereicht wurde. Next stop: Erlangen. (hb/bw)

 

Peng!-Preisträger Alexandre Clérisse

Mehr Fotos vom Comicfestival gibt’s hier auf unserer Facebook-Seite!

 

Die diesjährigen Peng!-Preisträger:

Preis für das Lebenswerk: Herbert Feuerstein
Bester Europäischer Comic: Ein diabolischer Sommer (Carlsen Verlag)
Bester Nordamerikanischer Comic: Dark Night: Eine wahre Batman-Geschichte (Panini)
Bester Manga: Die Braut des Magiers (Tokyopop)
Bester Online-Comic: Herrmann Comix (www.herrmann-comix.de)
Beste Edition eines Klassikers: Eternauta (avant verlag)
Beste Sekundärliteratur: Deutsche Comicforschung (Comicplus+)
Bester deutschsprachiger Comic: Didi & Stulle Gesamtausgabe (Reprodukt)

 

Außerdem bekam das Gratis-Magazin COMICAZE einen Preis für „besondere Leistung für die Münchner Comic-Kultur“.

 

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