„Die stolzen Türme von Bos-Maury. Die prächtigsten und höchsten der christlichen Welt.“ Im Alter von acht Jahren wurde Ritter Aymar von Bos-Maury von seiner Heimat vertrieben, nach der er sich seitdem sehnt, die er eines Tages zurückgewinnen will und die er stets so voller Bewunderung und Ehrfurcht beschreibt. Doch einstweilen zieht er mit seinem Knappen Oliver durch das Europa des Mittelalters und erlebt dort seine Abenteuer.
In „Babette“ ist er zu Gast auf der Burg von Bertram von Endras. Nach dem Mord an einem Edelmann wird der Maurer Gereon eingekerkert, kommt aber durch diverse Umstände frei, allerdings mit einer Folter bedingten, verkrüppelten Hand. Während Aymar ein Lanzenduell hoch zu Ross ausficht, schließt sich Gereon einer kleinen Gauner-Truppe an, die als Gaukler durch die Welt reist, um so leichter auf Raubzug gehen zu können. Die nächste Episode („Der Schäfer“) beginnt mit einem nächtlichen Überfall auf die Burg der Herren von Caulx. Die Bande, die im Umland für Tod und Verderben sorgt, wird von einem Schäfer angeführt, der sein Gesicht hinter einer Widdermaske verbirgt. Als Aymar und Oliver die Gegend durchqueren, helfen sie gemeinsam mit der schönen, wie mysteriösen Eloise von Montgri die Bande zur Strecke zu bringen. In „Das Kloster“, dem dritten Abenteuer, spielen Aymar und sein Knappe nur eine Nebenrolle. Das eigentliche Geschehen wird von Gereon und seinen Spielleuten bestimmt, die wir hier wieder treffen und die ein Kloster um seinen Kirchenschatz erleichtern wollen. Anfangs scheint der Coup zu gelingen, doch schon bald wird die Sache kompliziert, denn der ehrgeizige und gehörnte Meinrad heftet sich an die Fersen der Gauner.
„Die Türme von Bos-Maury“ (im französischen Original natürlich Bois-Maury) war quasi Hermanns Seriennachfolger von „Comanche“. Den Western verließ er 1984. Im selben Jahr startete Bos-Maury und erschien im französischen Vécu, einem Magazin aus dem Hause Glénat, das sich auf Historiencomics spezialisierte. Schon bald, nämlich von 1986 bis 1994, brachte der Carlsen Verlag die Serie in zehn Bänden nach Deutschland. Danach wanderte die Lizenz zu Kult Editionen, die fünf weitere Alben veröffentlichte (zuletzt 2012) und die die bei Carlsen erschienenen Bände neu auflegte, so dass die Reihe dort komplett vorlag. Eine Besonderheit dabei ist, dass die späteren Abenteuer Aymar und dessen Zeit verließen, sich dessen Nachfahren widmeten und in anderen Zeitaltern spielten. Das Szenario zu diesen späteren Geschichten verfasste Hermanns Sohn Yves, der als Yves H. schon lange dessen Stammautor darstellt (bis auf „Jeremiah“, den schreibt Hermann noch selbst). Die neue Integral-Ausgabe von Erko vereint nun die ersten drei Alben in einem Band.
Hermann, der (noch) aktuelle Angoulême-Preisträger, präsentiert Bos-Maury auf der Höhe seines Schaffens. Er zeigt einerseits das unbarmherzige Mittelalter mit seiner Feudalstruktur und elender Armut. Das einfache Volk lebt im Dreck, ist bettelarm, verroht und der Willkür der Herrschenden ausgeliefert. Andererseits scheut er nicht vor einer kräftigen, farbenfrohen Kolorierung, die die gesellschaftliche Tristesse, wie all den Dreck und Schmutz, konterkariert, indem sie hübsche Tableaus präsentiert, die durchaus dem hehren und edlen Ritterbild zuarbeiten. Seine volle Meisterschaft aber zeigt der Belgier in den Szenen, die in der Nacht spielen. So wird „Der Schäfer“ von einem nächtlichen Kampf eröffnet und beschlossen. Und in der Mitte des Albums treffen Aymar und Oliver auf den titelgebenden Unhold – wieder in der Nacht – in einer nur vom Lagerfeuer ausgeleuchteten Szene, in der man das herrschende Misstrauen beinahe mit Händen zu fassen vermag. Auch trägt die Tatsache, dass die Sprechblasen ebenfalls farbig sind, zur atmosphärischen Dichte der Geschichten bei.
Dazu kommen etliche Kniffe, die Hermann inhaltlich anwendet. Da laufen Handlungen parallel, sind gegeneinander montiert, um sich dann zu treffen und zu überschneiden, um dabei Gegensätze herauszuarbeiten: hier der morgendliche Kirchgang des Adels, dort das unbarmherzige Gottesurteil gegen Gereon. Und immer wieder präsentiert Hermann kleine Gimmicks oder Running Gags, sei es das Huhn Adelgunde mit seinem „Herrchen“, dem knorrigen, halb verrückten Alten. Oder die in „Das Kloster“ parallel zur eigentlichen Handlung laufende Mission Aymars und Olivers, einen reichen Kaufmann zu eskortieren, die in ein unverhofftes Happy-End mündet. Alles sauber konstruierte, durchdachte, inhaltlich opulente Geschichten mit starken Charakteren, hinter denen vor 30 Jahren ein Autor und Zeichner stand, der vor Ideen nur so sprühte. Eine Eigenschaft, die er inzwischen bei seinen Jeremiah-Stories zu einem gewissen Teil leider eingebüsst hat.
Bleiben die Zeichnungen. 1984 arbeitete Hermann noch nicht mit der Couleur Directe-Technik, die er meisterhaft beherrscht und mit der er in beachtlichem Tempo noch immer zwei Alben pro Jahr produziert. Aber bereits mit dem Rapidographen, der viele kleine Striche ermöglicht und weniger für ausgedehnte Schwarzflächen sorgt. Entsprechend filigran und aufwändig sind die Panels herausgearbeitet. Aber: ein Hermann-Gesicht erkennt man sofort, egal mit welchen Zeichentechnik es entstand. Leider lässt der Band hinsichtlich Sekundärmaterial einiges an Wünschen offen (auch die Original Cover werden nicht mit abgedruckt). Der vierseitige Artikel über die Genese der Reihe von Hermanns Freund und langjährigem Agenten Ervin Rustemagic (Strip Art Features) ist zwar interessant und auch reichlich bebildert, aber da wäre doch sicher noch mehr möglich gewesen. So hat die Ausgabe eher den Charakter eines Sammelbandes, wobei jeder, der eine der wichtigsten und besten Mittelalter-Serien (neben Bourgeons „Das Fest der Narren“ aus „Die Gefährten der Dämmerung“) nicht kennt, getrost zugreifen kann oder gar sollte. Aber vielleicht kommt in Band 2 in dieser Hinsicht ja noch was. (bw)
Die Türme von Bos-Maury, Band 1
Text & Bilder: Hermann
144 Seiten in Farbe, Hardcover
Erko Verlag
29,95 Euro
ISBN: 978-90-89821-12-6