Irgendwo in den USA, in einer post-apokalyptischen Welt suchen Sam und Samantha ihr Glück. Genauer gesagt: das Paradies. Und damit ein sorgenfreies Leben, das sie sich inmitten des Elends und des Verfalls erkaufen wollen. Den Ort, den Zugang zum Paradies und das dafür benötigte Geld haben Sam und Sam bei einer Leiche gefunden. Die Stadt, die Startpunkt ihrer Reise werden soll, entpuppt sich als wenig verheißungsvoll. Und nachdem das Geld für den Weg ins Paradies, der ganz weltlich und praktisch per Bus erfolgt und von einem Fährmann (für dessen Look offenbar Slash von Guns n’ Roses Pate stand) geleitet wird, nur für eine Person reicht, muss Sam zurückbleiben und zusehen, wie er schnell an die erforderlichen Scheine kommt. Schließlich macht er sich zu Fuß in die Richtung auf, in die der Bus mit Samantha verschwand. Nachdem er zu einem Zaun voller Gefahrenschilder gelangt muss er bald feststellen, dass sich das vermeintliche Paradies für die zahlenden Glückssucher als tödliche Falle entpuppt. Auch für seine Freundin? Er stellt den geheimnisvollen Fährmann und findet sich bald unverhofft selbst in dieser Rolle wieder. Doch sein Ziel bleibt die Rettung Samanthas und dazu geht Sam bis zum Äußersten.
Die ganze Szenerie des Bandes ist unheilvoll. Klar wir haben hier ein Hermann-Album. Dass die Helden ungeschoren davon kommen, bzw. dass es ein Happy-End gibt, das glaubt von vorneherein kaum einer, der die Werke (v.a. die Einzelbände) des aktuellen Angoulême-Preisträgers kennt. Die namenlose Stadt ist trostlos. Alles ist staubig, dreckig, verfallen und karg. Verkommen. Selbst das Vergnügen, das nur wenigen vergönnt ist. Niemand lächelt dabei. Die Menschen benehmen sich seltsam, sind entstellt oder gar verstümmelt. Und der Himmel ist nie blau. Anfangs erscheint er gelb und grün, ungesund, und je mehr sich Sam seinem Schicksal nähert, umso finsterer wird es, nur durchzuckt von einem grün-roten Muster, das wie eine Mischung aus Blitzen und Nordlichtern erscheint. Die Szenerie wird vollends unwirklich, irreal. Wie eine Unterwelt, in der Charon, der Fährmann, die Seelen der Toten über den Styx geleitet. Nur sind die Ankommenden nicht tot. Zumindest anfangs nicht… Das Design und das Setting des Bandes erinnert an die post-apokalyptische Welt in Hermanns Serie „Jeremiah“. Den Zeichner Hermann selbst wohl auch – man beachte auf Seite vier den Hintergrund des mittleren Panels…
Hermann und sein Sohn und Autor Yves H. (Huppen) spielen in „Der Fährmann“ mit enttäuschten Hoffnungen und zerstörten Träumen. Mit der Naivität der Verzweifelten und deren Streben nach einem fiktiven Glück, nach einem besseren Leben und einer Zukunft, weg von Elend und Armut. Und sei es, dass man seinen letzten Heller einem zwielichtigen Unbekannten gibt, der den Weg in ein diffuses Paradies ermöglichen soll. Bis die Realität unvermittelt und gnadenlos zuschlägt. Ein verstörend aktuelles Motiv – Stichwort Flüchtlinge und Schlepper… Und wie immer gibt es hier Jemanden, einen Namenlosen, der von dem Elend profitiert, der die Menschen gewissenlos ausnutzt. Da weder die Herkunft und die Motive diverser Personen, noch alles, was hier passiert, restlos und schlüssig erklärt wird, hängt über dem ganzen Band eine Aura des Mysteriösen. Was Hermann mit seinem einzigartigen Zeichenstil wieder einmal perfekt einfängt. Die Direktkolorierung seiner Zeichnungen in dunklen Farben erzeugt eine passende dichte Atmosphäre voller Unheil und Unbehagen, aus der es für Sam und Sam und für den Leser kein Entrinnen gibt. In schaurig schönen Bildern. Und das Paradies lässt sich eben nicht erkaufen. (bw)
Der Fährmann
Text: Yves H.
Bilder: Hermann
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Erko Verlag
14,95 Euro
ISBN: 978-90-89821-07-2