Sterben für die Freiheit (Panini)

Dezember 14, 2016

Sterben für die Freiheit (Panini)

Frankreich 2012: Claire nimmt am Begräbnis ihrer Tante teil, die ihr neben ihrem Haus auch noch einige Habseligkeiten hinterlässt. Darunter findet sich ein schwarzes Notizbuch und eine Sammlung von Zeitungsartikeln, allesamt aus den 30er und 40er Jahren, mehrheitlich auf Deutsch. Fasziniert vertieft sich Claire in die Geschichten, die dort erzählt werden – als erstes die spektakulären Errungenschaften von Amy Johnson, die im England der 30er Jahre versucht, in der Männerdomäne der Luftfahrt Fuß zu fassen. Um auf sich aufmerksam zu machen, unternimmt Amy einen der ersten Direktflüge von London nach Sydney, der nach allerlei Zwischenfällen tatsächlich gelingt. Auf dieser Reise lernt sie auch ihren späteren Mann Jim Mollison kennen, einen Hallodri, von dem sie sich nach zahlreichen gemeinsamen Rekordversuchen wieder scheiden lässt. Auch die Schweizer Journalistin Anna Shearer verfolgt Amys Karriere aufmerksam und freundet sich sogar mit der Pilotin an, die nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs in die ATA eintritt, die Air Transport Auxiliary Einheit der Royal Air Force, die Flugzeuge von der Produktion zum jeweiligen Einsatzort überführt.

Auf einem dieser Flüge stellt sich allerdings heraus, dass Anna keineswegs Journalistin, sondern eine Agentin der deutschen Abwehr ist, die im Auftrag von Canaris wertvolle Informationen über Flugzeugprototypen und geplante Einsätze der britischen Luftwaffe gesammelt hat. Mit vorgehaltener Waffe zwingt sie Amy, Kurs auf das besetzte Frankreich zu nehmen, aber es kommt zum Handgemenge, in dem die Maschine mitsamt den beiden abstürzt… Im Juli 1942 befindet sich Anna, die eigentlich Müller heißt und als Agentin den Decknamen Gerda trägt, wieder in Berlin und nimmt direkt von Canaris die nächste Mission entgegen: in München machen seit einigen Wochen aufrührerische Flugblätter die Runde, die das deutsche Volk aufrütteln und gegen die Machthaber aufbringen sollen. Die Spuren der Abwehr führen in das intellektuelle Milieu um Professor Muth, den Anna nach einigen vergeblichen Versuchen ausfindig macht. Dort nimmt sie auch Kontakt mit der jungen Sophie Scholl auf, die gerade ihren Dienst in einer Rüstungsfabrik in Ulm versieht, der Voraussetzung dafür ist, das Studium in München aufzunehmen.

Geschickt erschleicht sich Anna das Vertrauen von Sophie, die gemeinsam mit ihren von der Ostfront zurückgekehrten Brüdern und ihren Freunden Tobias Schmorell und Christoph Probst unter dem Decknamen Weiße Rose für die Flugblätter verantwortlich ist. Als Sophie und Hans das neueste Flugblatt direkt in der Universität auslegen, kommt es zur Katastrophe: der Hausmeister hält sie fest und übergibt sie der Gestapo, deren Schlinge sich ohnehin schon eng zugezogen hatte. All dies verfolgt Anna entsetzt mit, die langsam aber sicher Achtung vor den mutigen jungen Studenten entwickelt hat. Nach der Hinrichtung von Sophie und Hans trifft sie sich mit Graf von Moltke, dem sie das sechste und letzte Flugblatt der Weißen Rose übergibt, das auf diesem Weg nach England gelangt und im Sommer 1943 in tausendfacher Ausfertigung den britischen Bombern über Berlin abgeworfen wird… Auch ins Schicksal der Mitgründerin der französischen Widerstandsgruppe Combat, Berty Albrecht, die sich 1943 in der Haft der Gestapo das Leben nahm, ist Anna verstrickt, genauso wie in Leben und Tod der Mila Racine, deren mutiges Handeln dutzenden jüdischen Kindern die Flucht in die rettende Schweiz ermöglichte.

Mit diesem umfangreichen Band liefert Emmanuelle Pollack das, was man gemeinhin als Portmanteau-Geschichte bezeichnet: eine Anthologie unterschiedlicher Erzählungen, die alle durch ein zentrales Element zusammengehalten werden. In diesem Fall bietet das Notizbuch Anna Müllers dieses Bindeglied, aus dem sich nach und nach die vier Einzelschicksale zu einem großen Panorama des Freiheitskampfes – zunächst gegen Geschlechterrollen, dann gegen die Gewaltherrschaft – zusammenfügen. Dabei nutzt die Sammlung den Kunstgriff einer fiktiven Figur, die jeweils durchaus entscheidend in die historischen Geschehnisse eingreift – so etwa wird der Absturz von Amy Johnson nahe der englischen Küste, bei der die Leiche der Pilotin nie gefunden wurde, durch Anna erst herbeigeführt, und sie sorgt in der Episode um die Weiße Rose selbst dafür, dass das sechste Flugblatt nach England gelangt, wo es von Thomas Mann im BBC-Radio in Auszügen vorgelesen wurde.

So verbinden die Szenaristen Régis Hautière („Der Krieg der Knirpse“) und Francis Laboutique geschickt historisch akribisch recherchierte Abläufe mit fiktiven Elementen, was sich auch in den Zeichnungen von Pierre Wachs („Amy Johnson“), Marc Veber („Sophie Scholl“), Ullcer („Berty Albrecht“) und Olivier Frasier („Mila Racine“) niederschlägt: in den Personen leicht stilisiert, in Objekten und Schauplätzen genauestens rekonstruiert – wie etwa die berühmte Eingangshalle der Münchner Universität, wo Sophie Scholl im Überschwang die Flugblätter von der Balustrade warf. Ergänzt wird jede Geschichte weiterhin durch ein geschichtliches Essay von Emmanuelle Laboutqiue, wodurch nochmals die virtuose Verbindung von Fakt und Fiktion verdeutlicht wird, den dieses Hohelied auf die Freiheitsliebe, das im Original in vier Bänden bei Casterman erschien, abliefert. (hb)

Sterben für die Freiheit
Text: Régis Hautière, Francis Laboutique, Emmanuelle Polack
Bilder: Mark Veber, Pierre Wachs, Ullcer, Olivier Frasier
264 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
24,99 Euro

ISBN: 978-3-95798-558-3

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