Airborne 44, Band 2 (Salleck)

September 15, 2011

Nahtlos setzt der zweite Band von Airborne 44 („Für uns gibt es kein Morgen…“) dort ein, wo Band 1, „Da, wo die Männer fallen…“ endet. Hinter den deutschen Linien gefangen, verbergen sich Luther Jepsen und seine GIs mit zwei jüdischen Kindern auf dem Hof der hübschen Gabrielle. Neben der allgegenwärtigen Gefahr der Entdeckung durch die SS verschärft sich die Lage, als der fahnenflüchtige Kellermann nach vier Jahren unerwartet zu Gabrielle zurückkehrt, die ihn mehr aus Mitleid geheiratet hatte, bevor er als „malgré nous“ zwangsrekrutiert hatte. Unter Lebensgefahr ist es Kellermann gelungen, die Greueltaten der marodierenden Deutschen und die beginnende Judenvernichtung auf den Ostfeldzügen heimlich zu fotografieren. Als eines der beiden Kinder der SS in die Hände fällt, sehen sich die ungleichen Kampfgenossen vor die Wahl gestellt: ein Leben gegen die Erinnerung an viele…und mit den unaufhaltsam näher rückenden deutschen Truppen treibt das eng verwobene Schicksal der Figuren auf das unweigerliche, dramatische Ende zu.

Jarbinet setzt auch im zweiten Band äußerst kunstvoll eine Mischung aus historischer Akkuratesse und einer individuellen Handlung ein, die zwar fiktiv, aber zutiefst autobiographisch verwurzelt ist: die Widmung des Bandes an zahlreiche namentlich genannte GIs, die 1944 bei der Befreiung des Heimatdorfes von Jarbinet fielen, zeigt deutlich das weit mehr als nur geschichtlich motivierte Interesse des Zeichners/Autors. Insgesamt rückt in Band 2 der realgeschichtliche Kontext mehr ins Blickfeld, angefangen mit den beklemmenden Schilderungen Kellermanns über die von ihm dokumentierten Vernichtungsaktionen entlang der Ostfront, die eine Vorstufe zur organisierten „Endlösung“ bildeten und später vergeblich vertuscht werden sollten. Wie jedes gute Stück historischer Literatur weist Jarbinet auch weit über den unmittelbaren Kontext hinaus bis in den Kalten Krieg, als er einen deutschen Befehlshaber (der in seiner Verbindung aus Intellekt und Grausamkeit zugleich abstoßend und faszinierend wie Hans Landa in Inglourious Basterds wirkt) treffsicher vorhersagen lässt, dass sich die Fronten schneller verschieben werden, als es die verbitterten GIs 1944 noch glauben wollen: „Die Russen machen Ihnen nach dem Sieg keine Geschenke. Wenn Sie mit uns fertig sind, dann stehen Sie denen gegenüber, und dann, glauben Sie mir, brauchen Sie unsere Verbindungen im Osten. In kurzer Zeit werden wir Verbündete…Sie brauchen genau so ein Feindbild, wie wir eines hatten…“ Dass die von Kellermann geretteten Dokumente eine zentrale Rolle in den Nürnberger Prozessen spielen werden, liefert eine weitere Verknüpfung von Fiktion und Historie.

Aber auch die privaten Geschicke, in Band 1 noch dominieren und sich vor der Kulisse des Krieges ereignen, verweben sich zusehends in den realgeschichtlichen Hintergrund – in zwei Epilogen (einmal 1946 und einmal 1962) verschmilzt Jarbinet Geschichte und Privatgeschehen weiter und zeigt somit die Konstanz menschlicher Konflikte, Verletzungen, aber auch Hoffnungen im wechselnden Lauf des Weltgeschehens. Längst sind Amerikaner und Deutsche Alliierte, längst drohen andere Kriege (1962 in Form der Kuba-Krise), aber einzelne Wahrheiten bleiben unverrückbar: „Ich weiß, wie das alles enden wird: Mit einem Vertrag, von dem jeder etwas hat“. Und so endet Airborne 44 in bester literarischer Manier mit aus dem historischen Geschehen entwickelten überhistorischen, menschlichen, ja existentiellen Wahrheiten: „Erstens: Da, wo die Männer fallen, wird trotzdem immer wieder Gras wachsen. Zweitens: Für uns wird es irgendwann kein Morgen geben. Ob wir wollen oder nicht … Es gibt nichts Schöneres, als am Leben zu sein! Zu leben!“ Und dennoch bleibt, trotz des unerwartet hoffnungsvollen Ausgangs, ein Satz, der erschüttert, bewegt und nicht mehr losläßt, und den einer der Protagonisten vor dem Grab eines Kameraden denkt: „Siehst Du, alter Freund, das Leben ist weitergegangen…Ich bin jetzt 40 Jahre alt. Du wirst für immer 22 sein…warum bist du gefallen? Warum bin ich am Leben? Diese Fragen lassen mich nicht los.“ Über alle wie immer bei Jarbinet gekonnte Inszenierung, Kombination von Schlachtengemälde und Figurendarstellung, Detailreichtum, Bildkomposition und Farbeinsatz hinaus bleibt Airborne 44 durch solche Momente lange im Gedächtnis, nachdem die Geschehnisse vorüber sind. Ganz Großes wieder einmal aus dem Hause Salleck. In Frankreich ist übrigens gerade mit Band 3 der erste Teil eines neuen Zyklus‘ erschienen. (hb)

Text & Bilder: Philippe Jarbinet
48 Seiten in Farbe, Hardcover
Salleck Publications
12,90 Euro

ISBN 978-3-89908-358-3

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