Perico (Schreiber & Leser)

Mai 28, 2015

Perico (Schreiber & Leser)

Kuba, im Juni 1958. Kurz vor der Revolution und der Machtübernahme Fidel Castros. Der junge Joaquin arbeitet als Mädchen für alles im mondänen Nachtclub Sans-Souci. Dessen Besitzer ist Santo Trafficante, ein mächtiger Gangsterboss mit Beziehungen in die Politik, nach ganz oben. Und bis in die USA. Denn bei Trafficante lässt die amerikanische Mafia Drogengelder waschen. Im Sans-Souci tritt Elena de la Luz auf, eine aufstrebende Sängerin und persönliches Eigentum von Trafficante. Als Joaquin durch seinen Bruder, der für Castro Terroranschläge verübt und dabei umkommt, unversehens an einen Koffer voller Mafiageld gelangt und dadurch selbst in Gefahr gerät, bleibt ihm nur die spontane Flucht nach Florida, begleitet von Elena, die eigentlich Livia heißt. Ihr gemeinsames Ziel: Hollywood. Doch sie ahnen nicht, dass Trafficante sein feines Netz an Beziehungen ausspielt und seine Handlanger ihnen bereits auf den Fersen sind. Nach einer gefährlichen Fahrt mit allerhand Zwischenfällen kommt es vor den Toren Hollywoods schließlich zum dramatischen Finale.

Régis Hautière (‚Aquablue: New Era‘ bei Splitter, ‚Über den Wolken‘ bei Salleck) inszeniert vor einem geschichtsträchtigen Hintergrund ein zweigeteiltes Drama, inhaltlich wie auch geographisch. Der erste Teil spielt auf Kuba. Dort bewirtet Joaquin Castros politische Gegner um General Batista und wird unfreiwillig – aber nicht ganz unwillkommen – erst zum Flüchtigen und dann zum Gejagten. Der Traum von Reichtum scheint sich für ihn per Geldkoffer unverhofft zu erfüllen, sei es auch auf Kosten seiner Heimat und seiner Familie. Begleitet wird er von der Sängerin Livia, der er ganz naiv in Hollywood zu einer Schauspiel-Karriere verhelfen will und die ebenfalls nichts (mehr) zu verlieren hat. Im zweiten Teil brechen die beiden zu einem Roadtrip nach Hollywood auf. Auf diesem gibt es zahlreiche Begegnungen, bei denen der Geldkoffer Joaquins meist eine Rolle spielt, als Objekt der Begierde. So treffen wir auf kleinkriminelle Cannabis-Anpflanzer, eine Motorradgang, korrupte Polizei und schon bald kreuzen die Jäger Trafficantes auf, die ihr Fangnetz immer enger ziehen.

Klare Linie: Joaquin und Livia auf der Flucht

Klare Linie: Joaquin und Livia auf der Flucht

Philippe Berthet versteht sich auf das Zeichnen hübscher Frauen, das wissen wir spätestens seit seiner Serie ‚Pin-Up‘ (bei Salleck). Auch hier setzt er Livia betörend in Szene. Die fungiert nicht als lupenreine Femme Fatale (der Band erscheint in Schreiber & Lesers Noir Label – siehe auch unsere Besprechungen zu ‚Fatale‘ und ‚Marilyn the Wild‘), sondern sehnt sich nach einer tragischen Kindheit und vom Schicksal arg gebeutelt nach Glück, wobei sie nie ihre lebensfrohe Einstellung verliert. Natürlich verdreht sie den einen oder anderen Kopf und hat auch Makel (ihr Kokain-Konsum). Auf der anderen Seite ist Joaquin, eigentlich noch ein naiver Junge, der die einmalige Chance sieht, aus seinem tristen und kargen Leben zu entkommen. Abenteuer inklusive. Und der sich – na logo – bald in Livia verliebt. Berthets Stil ist bestimmt und klar wie schnörkellos und fängt die Atmosphäre und den Stil der Fünfziger Jahre gekonnt ein (Mode, Autos, Reklameschilder). Auch hier wieder: mehr bunt als noir, was dem Gesamtbild aber keinen Abbruch tut. Im Gegenteil.

Die Story entwickelt sich gut lesbar und gradlinig, wie der Trip, den sie beschreibt. Trotzdem gibt es die eine oder andere Überraschung (der Verbleib des Geldes, die Bedeutung des Titels). Dazu kommen historische Zeitbezüge – Castros Revolution in der ersten Hälfte, der Auftritt des berüchtigten Gewerkschaftsführers Jimmy Hoffa in der zweiten. Mit Hollywood, dem Ort, an dem Träume wahr werden – oder auch nicht – als nahendem Ziel, steigt die Spannung, wie die Story nun endet. Finden die beiden Flüchtigen ihr Glück? Und: kriegen sich beide noch? Ach ja – der Titel. Der hat zwei Bedeutungen: zum steht Perico als Synonym für das Kokain, das Livia heimlich nimmt, die andere Bedeutung hat mit dem Ende zu tun und wird nicht verraten. (bw)

Perico
Text: Régis Hautière
Bilder: Philippe Berthet
128 Seiten in Farbe, Hardcover
Verlag Schreiber & Leser
24,80 Euro

ISBN: 978-3-943808-68-1

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