Toulouse, im März 1943. Frankreich ist inzwischen komplett von Deutschland besetzt, wobei das mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regime rein formal die Regierungsgewalt behält. Der 18-jährige Raymond und sein jüngerer Bruder Claude treten mit Unterstützung ihrer Eltern der Resistance bei, die in Form der 35. Brigade in Stadt und Umgebung operiert. Anfangs werden die beiden jüdischen Brüder für kleine Aufgaben eingeteilt: Botengänge, Beobachtungen. Sie lernen die Struktur der Brigade und die anderen Mitglieder kennen, viele davon Ausländer, die meisten wie sie noch blutjung. Enthusiasmus ersetzt Erfahrung. Dann kommen die ersten Anschläge, die ersten Sabotage-Akte, die ersten Morde. Lokomotiven werden gesprengt, ein Staatsanwalt wird ermordet. Man wird ambitionierter. Und den Oberen der Resistance ein Dorn im Auge. Sollen doch nur Franzosen die Franzosen befreien, keine jugendlichen Ausländer oder Juden. So werden erst Raymond und Claude geschnappt – später dann fast die komplette Brigade – und zur Aburteilung in das Gefängnis Saint-Michel gesteckt.
Nach der Landung der Alliierten in der Normandie werden die politischen Insassen an die Gestapo übergeben und in Richtung Deutschland, mit Ziel Dachau, deportiert. Jetzt beginnt für Raymond und Claude ein Martyrium: mit etwa 70 anderen Gefangenen werden sie in einem zugenagelten Viehwaggon eingepfercht. Bei brütender Sommerhitze. Der Zug mit 700 Insassen rollt wochenlang durch Frankreich, hält oft tagelang, muss wieder umkehren, Umwege machen. Steht immer wieder unter Beschuss. Geplante Strecken sind von den Alliierten zerbombt oder von der Resistance sabotiert. Drinnen im Zug versuchen die Menschen verzweifelt zu überleben. Die Luft ist verpestet. Sie werden kaum versorgt, kollabieren, erkranken, sterben, werden getötet. Die makabre Reise dauert fast zwei Monate, unterbrochen von einem Aufenthalt in der Synagoge von Bordeaux, die als Konzentrationslager mißbraucht wird. Schließlich, kurz vor der deutschen Grenze, gelingt den Brüdern die waghalsige wie verzweifelte Flucht: gemeinsam mit anderen lassen sie sich durch den Boden des Waggons auf die Gleise fallen. Und überleben.
Anfangs sehen wir die beiden Jugendlichen, wie sie sich naiv wie begeistert dem Widerstand anschließen. Kleine Jobs gelingen, fast spielerisch. Später auch Attentate und Sabotage-Akte. Doch der Tod ist allgegenwärtig. Kameraden werden geschnappt, gefoltert und hingerichtet. Doch alle halten dicht. Nicht jeder Anschlag klappt. Die Gefahr ist immer präsent. Schließlich lassen die eigenen (höherrangigen) Leute aus der Resistance die Brigade wissentlich fallen. Deren Mitglieder werden inhaftiert, auch die Brüder. Die Zeit im Gefängnis ist hart, ständig drohen Exekutionen. Bittere Ironie: gerade die Deportation und die Verfrachtung in den Zug rettet die beiden vor der Hinrichtung. Hier beginnt der noch viel schlimmere Teil. War und ist die Resistance schon immer ein Begriff, wird oft und stolz von ihr gesprochen, blieb das unmenschliche Drama, das Schicksal der Gefangenen des sogenannten Geisterzugs (Train Fantôme) über Jahrzehnte hinweg weitestgehend unbekannt. Erst seit Anfang der 90er Jahre gelangte die fast zweimonatige Irrfahrt des Geisterzugs in das Bewußtsein der Menschen und wurde genauer erforscht. Von jenen, denen die Flucht nicht gelang, starben viele bereits im Zug, etliche andere kamen im KZ in Dachau um, so dass nur ein kleiner Teil das Kriegsende und die Befreiung miterleben durfte.
Zwischen der Handlung schildern die Autoren immer wieder Einzelschicksale und Begegnungen. Der Anwalt, der verzweifelt versucht, die geschnappten Resistance-Kämpfer zu verteidigen, indem er – natürlich vergeblich – an die französische Seele appelliert. Oder die spanischen Gefangenen, die im Gefängnis einen kleinen Sieg gegen ihre Aufseher erringen, indem sie sich geschlossen weigern, ihre Unterhosen auszuziehen. Der arabische Häftling, der im Gefängnis stirbt. Die selbstmörderische Flucht eines 19-Jährigen durch eine Luke im Waggon. Kleine starke Episoden, die zeigen, dass der Krieg jeden traf. Egal welcher Herkunft oder Profession.
Die Graphic Novel ist eine Adaption des gleichnamigen Buches (2008 bei uns erschienen) von Marc Levy, Raymonds Sohn und Claudes Neffen, der eher für seichtere Sujets bekannt ist (‚Solange Du da bist‘). Die Zeichnungen sind klar und realistisch gehalten und in eine stimmige Farbgebung getaucht. Aufwendiger als andere Graphic Novels. Im Anhang werden einige Original Dokumente reproduziert, wie ein Haftbefehl oder eine Besuchserlaubnis für das Gefängnis. Leider sind die Dokumente nicht übersetzt. Ebenfalls beinhaltet der Anhang einen weiteren Bericht über die Flucht und die Aussage von Raymond über die Fahrt im Geisterzug. ‚Kinder der Hoffnung‘ ist ein aufwühlendes und berührendes Buch, das trotzdem die grausamen Vorgänge sachlich und ohne Pathos erzählt und dazu ein fast vergessenes Stück Kriegsgeschichte dem Leser näherbringt. (bw)
Kinder der Hoffnung
Text & Bilder: Alain Grand, nach dem Roman von Marc Levy
180 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
19,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-302-2