Über, Band 1 (Panini)

August 10, 2016

Über, Band 1 (Panini)

Berlin, April 1945. Die damalige Lage ist bekannt. Hitler verschanzt sich im Führerbunker, denkt bereits an die Kugel. Das Deutsche Reich steht vor dem Zusammenbruch. Die Russen stehen in Berlin. Der Zweite Weltkrieg ist bald zu Ende. Denkste. Wie aus dem Nichts taucht eine Armee modifizierter Übermenschen auf, angeführt von drei menschlichen Schlachtschiffen (mit Namen Siegmund, Siegfried und Sieglinde…), die den entsetzten Russen in letzter Sekunde den Garaus machen und damit vorerst Reich und Führer retten. Die verantwortlichen Generäle Heilig und Guderian erhoffen sich durch die neue „Waffe“ eine starke Deutsche Position bei Friedensverhandlungen und damit letztlich das Ende des Krieges. Doch Hitler denkt nicht daran. Jetzt soll der Krieg doch noch gewonnen werden. Er lässt seine Panzermenschen unter Führung des Schlachtschiffes Sieglinde nach Paris marschieren, um sich für die Zerstörung Berlins zu rächen. Inzwischen hat es eine britische Agentin, die undercover in einer „Panzermenschen-Versuchsfabrik“ arbeitete und die wir nur als Stephanie kennen, geschafft, die „Pläne“ für die Übermenschen nach England zu bringen. Dort beginnt man unter persönlicher Aufsicht Churchills ebenfalls fieberhaft mit der „Entwicklung“ eines Panzermenschen – His Majesty’s Human, kurz HMH. Und dessen erste Mission ist es, im zerstörten Paris die deutsche Sieglinde aufzuhalten…

Zugegeben: das klingt abgefahren. Und wahlweise übel oder trashig. Auf jeden Fall aber seltsam. Auch dem Britischen Autor Kieron Gillen, sonst in erster Linie für Marvel tätig (u.a. Angela – Im Auftrag der Götter), war seine Parallel-Welt-Idee nicht immer geheuer, wie er den Leser in ausführlichen Vorworten, die jedes Kapitel einleiten und die Einblick in seine Gedankenwelt geben, wissen lässt. Die Thematik erstaunt und verwirrt zugleich, treibt Gillen das Motiv der nationalsozialistischen Herrenmenschen-Ideologie doch auf die Spitze, indem er es mit dem der illusorisch herbeigesehnten Wunderwaffen kreuzt und so eine Superhelden-Story erzählt, die es so noch nicht gab, die sich so wohl auch noch niemand zu erzählen traute. Dazu kommt, dass die Serie im Original in den USA bei Avatar Press erscheint und daher ganz verlagstypisch mit expliziten Gewaltdarstellungen nicht gerade knauserig umgeht. Die „Arbeit“ der menschlichen Schlachtschiffe wird so entsprechend mit viel Blut und Gore realistisch und wenig subtil ins Bild gerückt.

Das Sammler-Variant: 222 Stück, € 39,99

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Wer ist/sind denn nun der/die Held(en) der Geschichte? Die Deutschen „Schlachtschiffe“ etwa? Die Nazi-Generäle gar? Stephanie, die in ihrer Tarnung ganz aufgeht und bei den Menschenversuchen keinerlei Mitleid zeigt, die tötet, ohne mit der Wimper zu zucken? Oder Patrick O’Connor, der erste Panzermensch der Briten? Irgendwie taugt keiner der Charaktere dazu. Dem wirkt Gillen entgegen, indem er einen beinahe dokumentarischen Überbau schafft, etwa wenn Bildtexte faktisch und sachlich nüchtern erklären, dass gerade erstmals ein Übermensch in den Krieg eingreift oder der erste Kampf zwischen Übermenschen stattfindet. Auch wechselt Gillen oft zwischen den Handlungen und Schauplätzen, zwischen Deutschen und Briten. Bei der Terminologie greift er auf bekannte Bezeichnungen zurück, die die Panzermenschen als Waffengattung, als Kriegsgerät markieren. Als in Klassen eingeteilte Schlachtschiffe, die nach dem Einsatz gewartet werden müssen. Und die – ganz Superhelden-like – eine Schwachstelle haben, wo sie verwundbar sind. Und wie gerne bei alternativ-/parallel-geschichtlichen Themen und Geschichten werden auch in „Über“ historische Personen verortet. Allen voran natürlich Hitler und Churchill, aber auch auf deutscher Seite der als Panzergeneral bekannte Heinz Guderian und Rüstungsminister Albert Speer, sowie bei den Briten der Mathematiker Alan Turing, der an der Entschlüsselung der Deutschen Enigma-Maschine großen Anteil hatte.

Das Fazit ist schwierig. Einerseits geht von der Alternativ-Story eine gewisse Faszination aus und man merkt, dass sich Gillen mit dem geschichtlichen Hintergrund ausgiebig beschäftigt hat. Andererseits werden Nazi-Klischees gepflegt und auf die Spitze getrieben. Das kann man als originell oder befremdlich auffassen und das zeigt auch, dass die Briten eben anders – unkritischer und unbekümmerter – mit unserer Vergangenheit umgehen als wir. So richtet sich „Über“ (Band 1 enthält die US-Hefte 0-5) auch an ein erwachsenes Publikum und wird dort seine Leser finden. (bw)

Über – Das letzte Aufgebot, Band 1
Text: Kieron Gillen
Bilder: Caanan White
180 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
19,99 Euro

ISBN: 978-3-95798-960-4

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