Undank ist nicht nur der Welten, sondern auch der Universen Lohn. Das denkt sich zumindest Thanos, der Titan vom gleichnamigen Mond, den Mistress Death vom Tode wieder erweckt. Die Gute hat nämlich entdeckt, dass im Universum die Anzahl der lebenden Seelen die der Toten weitaus übersteigt – und um dieses Ungleichgewicht zu beheben, scheint der Unhold vom Mond Titan doch genau der richtige Kandidat. Flugs reißt sich Thanos die ewigen Juwelen unter den Nagel und heften sie an den passenden Handschuh: bewaffnet mit dem Steinen der Realität, des Geistes, der Zeit, des Raums, der Macht und nicht zuletzt der Seele schwingt sich der Wüterich zum Gott auf und vergisst darüber fast, wie er Mistress Death zu Gefallen sein soll. Als die ihm aber zunehmend die kalte Schulter zeigt, setzt Thanos buchstäblich Himmel und Hölle in Bewegung, um ihre Gunst zu erringen: die Hälfte allen Lebens im Universum löscht er mit einem Fingerschnippen aus.
Auf der Erde bekommen das auch die Helden der Menschheit zu spüren, als aus der Riege der Rächer und auch aus anderen Superteams jede Menge Verluste zu beklagen sind. Verzweifelt sucht der Silver Surfer, dem sein alter Weggenosse Mephisto die ganze Malaise geschildert hat, Doctor Strange auf und bittet um Hilfe. Sogar Doctor Doom zeigt sich besorgt, dass die Welt zunehmend im Chaos versinkt, und macht mit den Verteidigern der Erde gemeinsame Sache. Aber das Unheil scheint kaum noch aufzuhalten: durch einen gewaltigen Energiestoß, den Thanos in einem weiteren Versuch auslöst, seine Holde milde zu stimmen, wird die Erde aus ihrem Orbit gerissen. Eine neue Eiszeit droht, die endgültige Apokalypse scheint besiegelt. Da tritt ein fescher, goldhäutiger Jüngling auf den Plan: Adam Warlock behauptet, er kenne den einzigen Weg, wie Thanos noch zu stoppen ist. Die letzten verbleibenden Helden der Erde werfen sich dem zunehmend verrückten Möchtegerngott entgegen, während Warlock und der Silver Surfer im Hintergrund lauern, um einen gewagten Plan umzusetzen. Aber welche Aussicht auf Erfolg haben die schwachen Sterblichen, wenn sogar Wesen wie Galactus und die Götter des Alls selbst vor Thanos fallen…?
„Einfache Worte reichen nicht aus, um zu beschreiben, was hier geschieht. Die Realität wird in ihren Grundfesten erschüttert. Das Raum-Zeit-Gefüge zeigt Risse. Und ich fürchte Zeuge zu werden vom Ende des Universums!“ Die Worte des Beobachters sind hier Programm: mit den sechs Heften des Infinity Gauntlet (bei dessen Grundidee er sich ja vielleicht bei Edmond Hamiltons Captain Future-Roman um die sieben Weltraumsteine inspirieren ließ) legte Jim Starlin 1991 die Blaupause aller ausladenden, kosmischen Abenteuer vor, zu denen er selbst als „Cosmic Author“ kurze Zeit später noch zwei Fortsetzungen (The Infinity War und The Infinity Crusade, dazu in Kürze mehr) hinzufügen würde und die zahllose weitere intergalaktische Abenteuer nach sich ziehen würde. Nichts anderes als die Existenz des gesamten Universums steht auf dem Spiel, wobei Starlin das Geschehen geschickt und ironisch durch einen höchst menschlichen Zug – der trotzige Versuch, bei einer spröden Dame erhört zu werden – motiviert (Beziehungsberater Dr. Bachmaier rät in solchen Fällen, es so zu halten wie Willie aus der Biene Maja: besser einfach zur nächsten Blüte weiterschwirren).
Das Personal, das Starlin auffährt, lässt sich nur noch als episch bezeichnen: mehr oder weniger der gesamte Heldenpantheon der frühen 90er ist am Start, wobei der damals intelligente Hulk, Captain America, der seinerzeitige bärtige Thor, Spiderman und Doctor Doom so etwas wie die Protagonisten sind, während der gewalttätige Drax und Thanos‘ Enkelin Nebula in ihren Rollen vor der Ära der Guardians of the Galaxy auftreten (und durchaus zu zentralen Figuren avancieren). Adam Warlock, lange Jahre Bewohner des Seelensteins, nutzt seine tiefe Kenntnis von Thanos‘ Charakter, um seinen Plan zu schmieden: „Jedes Mal, wenn es Dir gelungen ist, in den Besitz absoluter Macht zu gelangen, hast Du sie verloren. Weil Du tief in Deiner dunklen Seele weißt, dass Du unwürdig bist.“ In der rasanten, ausladenden Inszenierung von George Perez entfaltet sich das Geschehen atemlos, in teilweise ganzseitigen Panels, die die durchaus lineare Handlung flott vorantreiben. Ein massives Spektakel, das keine Sekunde gealtert ist und vor allem auch für Sympathisanten des Marvel Cinematic Universe einen geeigneten Startpunkt bietet – zumal Teil 2 der Infinity Wars ja noch einige Zeit auf sich warten lassen wird. Aber Vorsicht: hier verborgen finden sich doch einige klare Hinweise, wo denn die ganzen Helden abgeblieben sind, die am Ende von Teil 1 zu Staub zerfallen, und wie die ganze Chose eigentlich noch ausgehen könnte. Ein absoluter Klassiker, den man sich neben die Neuausgaben des Infinity War und der Infinity Crusade gut in den Schrank stellen kann. (hb)
The Infinity Gauntlet: Die ewige Fehde
Text: Jim Starlin
Bilder: George Perez, Ron Lim
260 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
19,99 Euro
ISBN: 978-3-7416-0571-0