Spirou und Fantasio Gesamtausgabe, Band 6 (Carlsen)

April 30, 2017

Inzwischen hat sich einiges getan im Spirou Universum: das Marsupilami ist fest etablierter Bestandteil der Geschichten und offenbart in jedem Abenteuer schon beinahe traditionell eine neue erstaunliche Fähigkeit. Und der chaotische Bürobote Gaston, dessen Gags sich Franquin später ganz widmen sollte, hat seinen ersten Auftritt in der Serie absolviert. Hier im sechsten Band der Gesamtausgabe der von Franquin gestalteten „Spirou und Fantasio“ Episoden bringt Carlsen nun weitere Abenteuer, die Franquin nicht mehr alleine schrieb und zeichnete. Zu groß war in jenen Jahren (1958-1959) das Arbeitspensum, das er sich zum Teil selbst auferlegte (man denke an die Arbeit für das Konkurrenz-Magazin Tintin, wo er „Mausi und Paul“ Gags zeichnete – siehe die entsprechende Gesamtausgabe, die jüngst ebenfalls bei Carlsen erschien). Mit diversen neue Mitarbeitern, die später selbst mit eigenen Serien berühmt werden sollten, bildete er das Studio Franquin: Roba (Boule & Bill), Jidehém (Sophie) oder Greg (u.a. Comanche, Luc Orient, Bruno Brazil) als Szenarist, der ja auch zahlreiche Mausi und Paul Gags für ihn schrieb.

Hinzu kommt noch, dass Spirou nun auch in der Tageszeitung „Le Parisien Libéré“ erschien. Verlagschef Charles Dupuis hatte den Deal eingefädelt, um so die Popularität von „Spirou und Fantasio“ noch zu steigern. Doch die Zeitung bestand auf neue, bisher unveröffentlichte Abenteuer, weshalb Franquin zusammen mit Roba für jeden Tag einen Streifen einer neuen Geschichte abliefern musste. Für die Zeitung entstanden so drei Episoden: „Im Reich der roten Elefanten“, „Tiefenrausch“ und „Der Liliput-Trick“. Mit jeweils 30, bzw. 20 Seiten zu kurz für eine Albumveröffentlichung, erschien bei Carlsen „Im Reich der roten Elefanten“ zusätzlich mit einer Marsupilami-Kurzgeschichte (als die Nr. 22), während „Tiefenrausch“ und „Der Liliput-Trick“ in einem Album zusammengefasst wurden (als Nr. 15). Übrigens ist der Druck der Gesamtausgabe im Vergleich zu den Alben kräftiger und klarer, was dem Lesevergnügen noch zu Gute kommt. Den Anfang in diesem Band macht aber eine „reguläre“ albumlange Geschichte: „Gefangen im Tal der Buddhas“, deren Abdruck 1958 im Spirou-Magazin begann und die als Band 12 der Carlsen-Reihe erschien:

Eine Anzeige für Spirou-Gummifiguren

Ein Wissenschafts-Kollege des Grafen von Rummelsdorf hat eine bahnbrechende Erfindung gemacht: den G.A.G. (klar: Gamma-Atom-Generator), ein kleines Gerät, mit dem man Gegenstände in die Luft heben kann, indem es deren Schwerkraft aufhebt. Die Erfindung soll rein friedlich genutzt werden, aber der russische Geheimdienst hat bereits Wind davon bekommen. Noch viel schlimmer: ein weiterer Wissenschaftler namens Longplaying (siehe Cover) könnte einen G.A.G. konstruieren und wird deshalb China gefangen gehalten. Also machen sich Spirou, Fantasio und das Marsupilami auf, den Mann zu retten bzw. zu befreien, ehe er sein Geheimnis preisgeben kann… Das Album bietet eine wunderbare Mischung von allem, was Spirou unter der Ägide Franquins ausmachte: eine verrückte Erfindung, die die Story in Gang bringt (und die obendrein stets hilfreich ist), das Marsupilami als Sidekick (nicht zu vergessen das Eichhörnchen Pips,das immer mit von der Partie ist und sich seine eigene Gedanken macht, die nur dem Leser preisgegeben werden). Dazu mit China ein exotischer Schauplatz. Und das alles gewürzt mit viel Humor und Spannung.

Die kürzeren Zeitungs-Geschichten (die auch in Frankreich/Belgien erst Jahre später als Album veröffentlicht bzw. im Spirou-Magazin abgedruckt wurden) können da nicht ganz mithalten und sind bis auf die mittlere Episode („Tiefenrausch“) geradliniger angelegt, bzw. einfacher gestrickt. Man ist in Afrika unterwegs um einen Forscher zu finden, wie einst Stanley, der Livingstone suchte (inkl. des legendären Begrüßungssatzes). Dann dreht sich alles um eine vermeintliche Miniatur Fantasios (heute würde man sagen „Actionfigur“), der von einem mysteriösen Unbekannten geschrumpft und versteinert wurde, was sich am Ende komplett als Irrtum erweisen wird. Einzig „Tiefenrausch“ sticht hier inhaltlich und qualitativ heraus, nicht zuletzt, weil die Episode eine überraschende Wendung nimmt und mit dem Gangster John Helena die Hauptfigur aus dem Album „Das Versteck der Muräne“ (Band 7 der Album- und Band 4 der Gesamtausgabe) wieder auftreten lässt. Der bricht erst aus und begibt sich dann auf die Suche nach dem Gold im versunkenen Wrack der „Diskret“. Als Helena selbst zum Opfer wird, wird nach und nach klar, dass hinter den ganzen Vorfällen eine weit größere Sache steckt, die Spirou und Fantasio samt Marsupilami natürlich aufdecken.

Als Bonus: Die Onkel Paul Episode

Eine interessante Phase in der Geschichte der Reihe, die zeigt wie sich deren Schöpfer und Macher dem Veröffentlichungsplan ihres Verlagschefs unterordnen mussten und wie am Fließband Comics produzierten, die trotzdem qualitativ kaum schwankten (siehe die Länge der Episoden) und die heute als zeitlose Klassiker gelten, welche folglich immer wieder neue Leser finden. Auch zeichnerisch bleibt alles wie aus einem Guss, obwohl sich Franquin (wenn auch anfangs leicht widerwillig) unterstützen lassen musste – wie das auch bei Peyo und seinen Schlümpfen war – und so die École Marcinelle weiter etablierte. Der wie immer ausführliche Sekundärteil geht auch auf diese notwendig gewordene, nicht immer einfache, Arbeitsteilung ein und wartet außerdem mit zahlreichen zeitgenössischen Abbildungen auf. Und mit einem kurios-interessanten Bonus: Die einzige Onkel Paul Episode aus der Feder Franquins („Spirou entdeckt Europa“, 4 Seiten). Auch originell: immer wieder, wenn es gerade passt, werden alte Spirou-Titelbilder als Einschübe ganzseitig in die jeweilige Szene in die Handlung eingefügt. Eine würdige Präsentation essentieller franko-belgischer Comickunst. (bw)

Spirou und Fantasio Gesamtausgabe, Band 6
Gefährliche Erfindungen (1958-1959)
Text: Greg, André Franquin
Bilder: André Franquin, Roba, Jidehém
192 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
29,99 Euro

ISBN: 978-3-551-71626-2

Tags: , , , , , , , , , ,

Comments are closed.