„Mausi und Paul“ ist eine Comicreihe, die von 1955 bis 1959 von André Franquin gezeichnet und teilweise auch geschrieben wurde. Sie besteht aus Gags, die in der Regel eine Seite umfassen. Keine große Sache, möchte man meinen, eher eine Randnotiz im Schaffen des Belgiers, der schon damals durch seine Spirou Geschichten berühmt und ein großer Star im Geschäft war. Und doch stellt „Mausi und Paul“ ein Kuriosum in der ohnehin spannenden und ereignisreichen franko-belgischen Comic-Historie dar. Dazu muss man wissen, dass es in dieser Zeit dort zwei große Comic-Magazine gab: Spirou und Tintin. Während ersteres den Funny-Stil der École Marcinelle vertrat (Marcinelle ist Sitz des Verlagshauses Dupuis) stand Tintin (Tim und Struppi) gleichermaßen für die Ligne Claire, den Stil, den Hergé erfand und in dem er seinen rasenden Reporter und dessen Hund in Szene setzte.
Anfang 1955 fand Franquin heraus, dass sich Dupuis nicht an den vertraglich vereinbarten Tantiemen-Satz hielt und er so bei diversen Spirou-Nachdrucken leer ausging, was in einen Streit mit Verleger Dupuis mündete. Nach einem heftigen Briefwechsel wurde dieser zwar beigelegt, aber inzwischen hatte sich der in finanziellen Dingen naive Franquin verbittert an die Konkurrenz aus dem Hause Lombard gewandt, wo Tintin erschien, und dort einen Vertrag über eine neue Serie abgeschlossen. Was zu oben genannten Kuriosum führte: Franquin, das Zugpferd und der Star aus Spirou, arbeitete nun gleichzeitig für die Konkurrenz! Was natürlich für den Zeichner zur echten Belastungsprobe wurde, war er doch durch Spirou eigentlich bereits zur Gänze ausgelastet. Der Spuk, sprich die Reihe „Mausi und Paul“, erschien dann unter Franquins Leitung bis 1959, dann wurde er aus dem Tintin-Vertrag entlassen und arbeitete wieder exklusiv für das Haus Dupuis. Die Rechte an „Modeste et Pompon“, wie die Reihe im Original heißt, trat er ab und gab den Zeichenstift an Dino Attanasio weiter.
Die Gags sind – salopp gesagt – in Ordnung. Zum größten Teil zeitlos, immer gelungen, originell und genau im Timing, manchmal charmant veraltet – eben wenn die Nachbarsfamilie kommt, um Fernsehen zu schauen. Aber natürlich erreichen sie noch nicht die spätere chaotisch anarchische Qualität der Gaston-Seiten oder gar die der wahrhaft „Schwarzen Gedanken“. Paul, die eigentliche Hauptfigur der Reihe, ist ein selbstbewusster junger Mann, der sich gerne überschätzt, der sich aber mutig jeder Situation stellt. Mausi, seine Partnerin (?) kommt dabei eher eine Nebenrolle zu, in der sie ihren Freund (?) bedauert, anspornt oder als Stichwortgeberin dient. Nach und nach gesellen sich weitere Figuren zur Reihe, von der wöchentlich ein Gag im Tintin-Magazin erschien, hinzu: drei Neffen, die gerne für Action sorgen, Pauls Vetter Felix, der bald Vertreter wird und mit den irrsten Produkten ebenfalls Chaos erzeugt und die beiden Nachbarn Meier und Meyer. Die Hintergründe von Mausi und Paul werden dabei nicht beleuchtet, beide sind wohl liiert, aber Genaues erfährt man nicht.
Aufgrund seiner chronischen Arbeits-Überlastung griff Franquin bald auf Szenaristen zurück. Zuerst nahm er René Goscinny ins Boot, der bald darauf mit seinen Asterix- und Lucky Luke-Geschichten unsterblich wurde, und dann Greg (d.i. Michel Regnier), den Comicleser als Autor von u.a. Andy Morgan, Comanche und Luc Orient kennen. Nachbar Meier wurde übrigens von Goscinny erdacht und sein „Kollege“ Mayer von Greg. Bei der Lektüre der Seiten entdeckt man immer wieder Ansätze und Elemente, die Franquin später bei seinen Gags um den durchgeknallten Büroboten Gaston wieder aufgriff und auf die Spitze trieb. Die bringt in erster Linie Felix in die Handlung ein, der verrückte und unnütze Dinge feilbietet, wie einen Clock ‘n‘ Roll Wecker, einen „Scherzfuß“ oder diverse nicht funktionierende Haushalts- und Küchengeräte. Auch lässt sich in späteren Episoden eine gewisse optische Ähnlichkeit mit Gaston nicht leugnen. Und ebenfalls in seinem Aussehen lässt Herr Mayer den späteren Buchhalter Herr Bolte vorausahnen
Der immens ausführliche Sekundärteil, der opulent mit etlichen Fotos und zeitgenössischen (Cover)-Abbildungen ausgestattet ist, beschränkt sich nicht nur auf die spannende Entstehungsgeschichte der Reihe. Seitenweise Artikel, beispielweise über die Rolle der Autos und Oldtimer, die Franquins Comics stets „bevölkerten“ oder über das charakteristische Design der Fünfziger Jahre, das sich so perfekt auf den Seiten von Mausi und Paul widerspiegelt, zeigen, wie intensiv und stets liebevoll sich der Perfektionist André Franquin seinen Arbeiten widmete. Als Gesamtausgabe, die keine Wünsche offen lässt, sind natürlich alle 183 Gags aus der Feder André Franquins enthalten (Attanasio zeichnete die Reihe bis 1969). Wer mehr, bzw. das Hauptwerk dieses großen Künstlers sehen und lesen will, dem sei die aktuell ebenfalls bei Carlsen erscheinende Gesamtausgabe von „Spirou und Fantasio“, die ähnlich ausgestattet und aufbereitet ist, wärmstens empfohlen. (hb)
Mausi und Paul Gesamtausgabe
Text: André Franquin, Greg, René Goscinny
Bilder: André Franquin
264 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
34,99 Euro
ISBN: 978-3-551-75430-1