Sein bestes Pferd schickt man bekanntlich möglichst oft ins Rennen, wohlwissend, dass einem das Preisgeld sicher ist. Carlsens bestes Pferd – zumindest im Comicbereich – dürfte Tim und Struppi sein. Dauerbrenner und Klassiker, mit dem der belgische Zeichner Hergé ab 1929 eine ganze Comic-Kultur begründete. Nach zahlreichen Varianten (Albenausgabe, Werkausgabe, Miniausgabe, Faksimileausgabe und jetzt auch als Mundart-Variante!) veröffentlicht Carlsen nun die 24 Abenteuer in preisgünstigen Sammelbänden. Quasi als Volksausgabe im kleineren, günstigen Hardcover-Format. Und zwar chronologisch.
So machen gleich die beiden umstrittensten Geschichten den Anfang. Den Erstling, Tim im Lande der Sowjets, aus dem Jahr 1929 und das darauf folgende Tim im Kongo in der Farbfassung von 1946 (ursprünglich 1930 erschienen). Die Sowjets-Episode wurde nie von Hergé überarbeitet oder neu gestaltet und erst spät in den Tim und Struppi Kanon als Band 0 aufgenommen. Hergé distanzierte sich von seinem Werk, zu propagandistisch und plump wurden die „Bolschewiken“ dargestellt, durch deren Land Tim als Aufklärungs-Journalist reist. Folglich ist der frühe Zeichenstil unausgereift und läßt Hergés spätere Brillanz und den Ligne Clair Stil bestenfalls erahnen. In Tim im Kongo treten Kolonialgehabe und Herrenmenschtum offen zutage. Zur Erinnerung: Belgisch-Kongo war die berüchtigte Privatkolonie des Belgischen Königs Leopold II. Ausbeutung und Gräuel waren Jahrzehnte lang an der Tagesordnung. „Folgerichtig“ werden Farbige in dem Album als unfähig und tolpatschig dargestellt. Tim sucht sich einen Boy und wird Massa genannt. Großwildjagd ist selbstverständlich.
Aber auch handwerklich und dramaturgisch sind beide Geschichten noch unausgereift. Während die Sowjets Episode eine Aneinanderreihung von Einzelszenen – viele davon mit Slapstick – ist, ist Tim im Kongo zwar zeichnerisch (logisch, ist ja nicht die Urfassung) bereinigt, aber ein anständiger Handlungsbogen ist auch hier nur rudimentär und erst zum Ende hin vorhanden.
Für wen taugt nun diese neue Edition? Natürlich für Sammler, die alles kaufen, wo Tim und Struppi draufsteht. Dann für die, die nur einen Bruchteil der Geschichten kennen und die jetzt die Chance auf eine günstige Komplettierung haben. Und schließlich für alle Serien-Neulinge, die bisher im Tal der Ahnungslosen verweilten und die nun bitte endlich zuschlagen mögen. Für die ist der Einstieg ob der beiden kontroversen Abenteuer nicht leicht. Aber hier heißt es am Ball bleiben. Schon Band 2 (auch bereits erschienen) bringt u.a. den Klassiker Die Zigarren des Pharaos. Und dann geht es Schlag auf Schlag. Insgesamt werden es 8 Sammelbände werden, zukünftig mit je drei Alben. Der letzte Band wird zusätzlich noch die unvollendete Episode Tim und die Alpha-Kunst enthalten. (bw)
Tim und Struppi Kompaktausgabe, Band 1
Text & Bilder: Hergé
208 Seiten, schwarz-weiß und in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
16,90 Euro
ISBN: 978-3-551-73899-8