Teufelsmaul (Splitter)

Januar 17, 2016

Teufelsmaul (Splitter)

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs irgendwo in der Ukraine. Juri, ein Findelkind, das wegen seiner Hasenscharte Gegenstand von Hänseleien ist und als Teufelsmaul verspottet wird, landet in einem Waisenhaus. Dort lernt Juri die harte Schule des Lebens kennen und sich im Laufe der Jahre gegen seine Kameraden zu behaupten und zu verteidigen. Schließlich wird er vom KGB-Oberst Stawrogin für eine ganz besondere Ausbildung ausgewählt. In einem ehemaligen Kloster am Schwarzen Meer soll er vollends indoktriniert und zum amerikanischen Spion herangezogen werden. Jahre später – der kalte Krieg ist bereits im vollen Gange – ist es dann soweit. Juri darf seine Ausbildung im Feldversuch abschließen. Seine Hasenscharte wird operativ korrigiert und über Kanada wird er mit einer neuen Identität in die USA geschickt.

Dort, in New York, heißt er nun Billy Budd (wie der Held bei Herman Melville) und arbeitet in luftiger Höhe als Bauarbeiter. Seine Kollegen sind meist Indianer. Mit einem älteren, den er Häuptling nennt und den eine mystische Aura umgibt, freundet er sich an. Auch sonst genießt er den westlichen Lebensstil, wenngleich auch auf kleiner Flamme. Auch eine Freundin hat er: Nancy. Nach einigen kleinen Missionen muss er ran – eher unfreiwillig. Da Juri/Billy eine Art zweites Gesicht besitzt, soll er einem russischen Überläufer, der im Koma liegt, dessen Geheimnisse entreißen. Quasi geistig. Eine schwierige Situation für Billy, der nun liefern muss. Doch die Sache geht nach hinten los. Auch Billy entscheidet sich, die Fronten zu wechseln. Zwar gelingt ihm die schwierige Flucht und doch ist er ab jetzt ein ewig Gejagter. Schließlich lässt Stawrogin Nancy entführen. Billy ist gezwungen, nun schnell zu handeln…

Mit ‚Teufelsmaul‘ als Wiederveröffentlichung endet im Splitter-Verlag nun die kleine Trilogie von Zusammenarbeiten zwischen Francois Boucq (Bouncer) und dem Autor Jerome Charyn, der sich immer mal wieder in Comic-Gefilde begibt (Marilyn the Wild). Zuvor erschienen ‚Die Frau des Magiers‘ und die aktuelle gemeinsame Arbeit ‚Little Tulip‘. Gute Gelegenheit für einen direkten Vergleich, denn alle drei Werke zeigen Gemeinsamkeiten: jeder Band spielt in Rußland und in den USA. Jeder Band beinhaltet phantastische Elemente – Vorahnungen, Visionen, Verschmelzung von Realität und Fiktion. Auch ‚Die Frau des Magiers‘ gibt ein kurzes Gastspiel in Rußland, wobei sich hier die Waage zugunsten der phantastischen Elemente verschiebt. In ‚Teufelsmaul‘ spielt Juris Gabe anfangs kaum eine Rolle. Die kalte und harte Ausbildung ist eindringlich geschildert, die Schüler müssen Ledermasken tragen, um die Anonymität zu wahren. Doch sein Lehrer, ein ehemaliger Mönch, der aufgrund seiner Englisch-Kenntnisse die Säuberungen überleben durfte, legt in ihm die Saat des Zweifels in Form von Religion (deren Ausübung natürlich im stalinistischen Rußland verboten ist und streng bestraft wird) und Geschichten über Amerika.

Und warum schlägt sich Billy schließlich auf die Seite der Wahrheit? Weil er, neben dem komatösen Überläufer liegend, dessen tragisches Schicksal erfährt? Weil dessen Familie brutal ermordet wird? Oder doch, weil er in seiner Jugend selbst aufgrund seiner Lippen-Deformierung ständig unterdrückt und misshandelt wurde und er daher einem unbändigen Drang nach Freiheit nachgibt? Oder ist es die Summe all dessen? Der alte Indianer sorgt ebenfalls für phantastische Momente, nachdem er Billy aus dem Inferno rettet. Die in die Spionagehandlung eingebettet sind, welche sich im zweiten Kapitel entfaltet (nachdem das erste Kapitel Juris Jugend und Ausbildung behandelt). Das abschließende dritte Kapitel umfasst Billys Flucht und das große Finale.

Und Francois Boucq? Dessen Zeichnungen reiften seit „Die Frau des Magiers“ spürbar und deutlich. Schon damals (der Band erschien 1990 im Original) war er auf einem Höhepunkt seines Schaffens. Seine dezente, abgestufte Farbgebung, sein realistischer Strich überzeugen sowohl in der russischen Episode, im militärischen Drill und im kasernenhaften Leben im ehemaligen Kloster, wie auch – im Kontrast dazu himmelblauen New York, als Billy auf den Eisenträgern in Schwindel erregender Höhe arbeitet. Das New York der 50er und 60er ist verdreckt und verkommen, wie verroht in Szene gesetzt. Auch das Flammeninferno in den Katakomben der Stadt beeindruckt in seiner zeichnerischen Ausarbeitung, wie auch das regennasse Finale in der Sankt Patrick Basilika. Bei uns erschien der Band erstmals 1991 in der Edition Kunst der Comics. Splitter übernimmt die Übersetzung von damals (es spricht auch kein Grund dagegen), letterte das Album aber neu. Ein kleiner unkommentierter Anhang mit Skizzen und Entwürfen beendet den Band, den man schon beinahe als Klassiker bezeichnen möchte. (bw)

Teufelsmaul
Text: Jerome Charyn
Bilder: Francois Boucq
128 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
24,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-228-1

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