Chrononauts – Die Zeitreisenden (Panini)

Oktober 17, 2016

Chrononauts (Panini)

Physiker sind ja üblicherweise keine coolen Socken, sondern absonderliche Gestalten, die Themen verfolgen, die wir Normalsterblichen noch nicht mal im Ansatz erfassen. Dass es auch anders geht, beweisen Corbin Quinn und Danny Reilly. Die beiden haben nämlich den Inbegriff der Erfindung gemacht, von die Menschheit seit Jahren träumt: nichts anderes als Anzüge, die Reisen durch die Zeit ermöglichen. Mit großem Medienrummel schicken sich die beiden an, den Sprung in den Zeitstrom zu wagen, um dort entscheidende Momente der Menschheitsgeschichte live und in Farbe in die heimischen Fernseher zu übertragen. Dumm nur, dass Corbin, der als erster ins Zeitportal tritt, von einer Dimensionswelle erfasst wird und im Jahr 1986 von den Scannern verschwindet. Furchtlos springt ihm sein Kumpel Danny hinterher, dem Peilsender nach Richtung Zentralasien, genauer gesagt nach Samarkand ins Jahr 1504. Dort staunt Danny nicht schlecht, als ihm neben Pferden und Pfeil und Bogen auch schweres Kriegsgerät in Form von Hubschraubern, Panzern und sonstigen Gefährten entgegentritt – was die Zuhausegebliebenen auf ihren Bildschirmen fassungslos verfolgen.

Als Reilly seinen Namen nennt, bringt man ihn flugs in die Hauptstadt zum König: und das ist niemand anders als Corbin, der seit vier Jahren in Samarkand auf die Ankunft seines Kumpels wartet. In der Zwischenzeit hat er sich aus allen erdenklichen Epochen brauchbare Gerätschaften und Waffen organisiert, von Sportflitzern bis hin zu Düsenjägern, und regiert sein Reich mit ausschweifender Lebensfreude. Schnell lässt sich Danny davon überzeugen, dass das Leben als Rockstar dem des aufrechten Helden vorzuziehen ist: er schaltet den Peilsender an seinem Anzug aus und macht sich mit Corbin auf eine abenteuerliche Spritztour quer durch die Zeit. In Ägypten nennt man die beiden Pharaos, im Paris der 60er sind sie Kumpels von Sartre, in den 50ern datet Corbin eine aufstrebende junge Schauspielerin namens Norma Jean Baker, sie fotografieren die Geburt Christi, und im New York der Roaring Twenties gibt Corbin den astreinen großen Gatsby, der dank seines Wissens um die Zukunft an der Börse ein Vermögen macht und sich das Mädchen von Lucky Luciano unter den Nagel reißt. So wild treibt es Corbin, der so viele Weiber hat, dass er eine Tabelle braucht, um nicht durcheinanderzukommen, dass Luciano schließlich der Kragen platzt und er seinen Konkurrenten umnieten will. Aber damit nicht genug: auch die Zeitpolizei in Form des Alpha-Teams um Colonel Mannix ist den beiden Chaoten heiß auf den Fersen, und Corbins vermeintlicher Vasall Sarvar zettelt eine Palastrevolte an, weil er den Wunderanzug für sich selbst haben möchte…

Mark Millar („Starlight“) kredenzt uns erneut eine Tour de Force der genüsslichen Respektlosigkeiten, gepaart mit klugem Witz und Hintersinn. Wie schon bei „Kick-Ass“ steht im Zentrum die Frage, was geschehen würde, wenn eine phantastische Idee den in die Realität umgesetzt werden könnte. Das oft heroisch besetzte Thema der Zeitreise wird hier auf die allzu menschliche Verlockung zurückgeführt, das Ganze gnadenlos auszunutzen – um Geld zu scheffeln, reihenweise Weiber durchzunehmen und sich dabei verdammt gut zu fühlen. Die Grundidee der für egoistische Zwecke korrumpierten Zeitreise mag im Karate-Vehikel „Time Cop“ schon verwurstet worden sein, Millar führt sie hier zur Vollendung, komplett mit wunderbaren Seitenhieben, in denen die junge Marilyn Monroe in ihrem ikonischen Silberkleid ebenso auftritt wie Paul Morrissey, der 1986 bei den Smiths rausfliegen soll, weil Bandmitglied „Doktor Danny“ nicht nur die besten Songs der Beatles, sondern auch „Harry Potter“ und „Breaking Bad“ geschrieben hat.

Nicht fehlen darf natürlich in verschiedenen Inszenierungen auch die Zeitmaschine schlechthin, der DeLorean, in sich dem Dr. Brown und Marty McFly durch die Epochen schwingen. Diese wunderbaren Anachronismen stürzen ebenso chaotisch durch die Zeit wie die beiden Lebemänner, die mit dem Jet an Dinosauriern vorbeidüsen, bevor sie sich selbst im Casino zuwinken, während sie die Gewinnzahlen des folgenden Abends notieren. Die Quintessenz, die Millar hier augenzwinkernd verabreicht: ein Leben ohne Zeit ist ein Leben ohne Verantwortung, vor der Corbin und Danny denn auch gleichermaßen in Form von gescheiterten Beziehungen davonlaufen. Das macht für eine Weile einen diebischen Spaß – und eigentlich auch länger, so schwingt das gänzlich politisch unkorrekt mit. Inszeniert wird die Sause von Sean Murphy („The Wake“) in akzentuiert-stilisiertem Duktus, ein wenig angelehnt an die Cover von Pulp-Romanen der 30er, was dem wahnwitzigen Trip durch die Jahrzehnte bestens angemessen ist. Der vorliegende Band enthält die Ausgaben „Chrononauts“ 1-4, die im Original 2015 erschienen und uns demnächst wohl auch im Kino beehren sollen. (hb)

Chrononauts – Die Zeitreisenden
Text: Mark Millar
Bilder: Sean Gordon Murphy
124 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
16,99 Euro

ISBN: 978-3-95798-948-2

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