Westfront 1916 – der gute Doktor und seine Begleiterin Gabby staunen nicht schlecht, als man aussteigt. Denn eigentlich wollte Gabby doch nur einen Tee kochen und hat dabei den falschen Hebel in der Tardis erwischt. Als Ergebnis landet man mitten auf den Schlachtfeldern der Somme, der Doktor wird prompt von einer Granate getroffen, während die Tardis in die Luft fliegt. Nicht gerade optimale Voraussetzungen für die erste und einzige große Reise, auf die der Doktor seine neue menschliche Begleiterin mitnehmen wollte. Als die britischen Truppen deutsche Stellungen angreifen, stellt der schottische Corporal Jamie Colquhoun – vollkommen desillusioniert und verbittert seit Kriegsbeginn eingesetzt in den Schützengräben nahe dem belgischem Mons – überrascht fest, dass die Deutschen ihre Position offenbar fluchtartig verlassen haben. Anstelle des Feindes findet er nur Gabby und den Doktor, die er ins Lager der Briten bringt, wo der kommandierende Captain Fairbairn sie natürlich für deutsche Spione hält.
Da hilft es auch nicht, dass der Doktor, der aussieht wie ein „Tanztee Dandy“, provokante Sprüche, seltsame Gerätschaften wie seinen Schraubenzieher und vor allem eine seltsam wissende Attitüde an den Tag legt. Ein ebenfalls gefangener deutscher Soldat indessen faselt permanent von Statuen, die man nicht aus den Augen lassen dürfe, sonst verschwinde man, weshalb er sich die Augenlider offen genäht hat. Colquhouns Kamerad Wullie erfährt alsbald, wie Recht der Gefangene hat: er wendet die Augen kurz von einer Engelsstatue, die überall auftauchen, und wird ins Schottland des Jahres 1879 versetzt – und zwar just am 28.12. in den unglückseligen Zug, der auf dem Weg nach Dundee die Brücke auf Tay zurast. Im Jahr 1916 erklärt der Doktor, was es mit den vermeintlichen Statuen auf sich hat: die weinenden Engel sind ein Volk von Mördern, deren Berührung ihre Opfer in die Vergangenheit schickt, während die Engel ihnen Gegenwart und Zukunft rauben. Die einzige Chance zu Entkommen liegt darin, ihre Schwäche auszunutzen: so lange man sie anschaut, verfallen sie in Starre und hören auf zu existieren.
Während immer mehr Männer verschwinden, um im Kolosseum des antiken Roms oder auch als Hexer im London des Jahres 1535 enden, wagen die von Engeln belagerten britischen Truppen unter der Führung des Doktors einen riskanten Ausbruch. Der anfangs skeptische Captain Fairbairn opfert sich dabei für sie, als plötzlich eine handfeste Überraschung wartet: der ebenfalls verschwundene Shuggy taucht als Rettung in letzter Minute in einem gestohlenen deutschen Panzer auf. Seinen verdutzten Freunden erklärt er, dass er nur 50 Jahre in die Vergangenheit versetzt worden sei und auf einer nahegelegenen Farm auf seine Chance gewartet habe, wieder ins Geschehen einzugreifen. Dem Doktor schwant einstweilen Böses: die Engel scheinen ihm besonders angriffslustig, da sie offenbar nahezu ausgehungert sind. Eine ganze Generation, die der Krieg vernichtet, bietet ihnen dabei die idealen Jagdgründe. Als man entdeckt, dass die Tardis heil geblieben ist und tief unter der Erde von den Engeln durch verminte Tunnel weggeschafft wird, machen sich der Doktor, Gabby und Colquhoun auf eine wagemutige Expedition…
Auch der zweite Band mit Abenteuern des zehnten Doktors David Tennant überzeugt auf ganzer Linie mit einer Story, die das Zeitreise-Motiv in den Mittelpunkt einer fulminanten, mit Horror-Elementen durchsetzten apokalyptischen Geschichte stellt. Der Doktor erscheint dabei einmal mehr als leicht soziopathische Gestalt, die in den entscheidenden Momenten mehr Menschlichkeit beweist als alle Humanoiden zusammen – er macht sich schwerste Vorwürfe, dass er Gabby in solche Gefahr gebracht hat, übernimmt wie selbstverständlich das Kommando über die Truppen und stellt nüchtern fest: er kann zwar durch die Zeit reisen, aber den Krieg verhindern, das kann er nicht. Der sei ein Prozess, aus dem die Menschheit lernen müssen – ob das gelingt, ist nach wie vor offen, wie er betont. Dabei hat Autor Robbie Morrison jede Menge Spaß mit der Figur selbst und dem Genre, das er augenzwinkernd kommentiert: den staunenden Soldaten erklärt Gabby, ihr exzentrischer Freund heiße Dr. Strange, der einen gewissen Colonel Brooks sucht (den wir wiederum aus MASH kennen).
Der Doktor stellt fest, ihm seien alle Feinde recht, so lange sie nicht das Universum vernichten wollen und dabei „exterminate!“ rufen (wie das seine Lieblings-Antagonisten, die Daleks, unablässig tun), und als Colquhoun erstaunt ausruft, die Tardis sei eine Zeitmaschine „wie bei H.G. Wells??“ stellt der Doktor klar: „Ja, der Herbert hat mir immer gerne meine Ideen geklaut“. Insgesamt liefert Morrison ein deutlich bodenständigeres Abenteuer als die ersten Comic-Ausflüge des zehnten Doktors (wo wir ja noch per Waschmaschine Tore in andere Dimensionen öffnen durften), mit faszinierenden Zeitsprüngen und einer mehr als ordentlichen Prise Horror, der aber niemals davon ablenken kann, dass das wahre Grauen im Krieg selbst liegt, für den niemand anders als die Erdenbürger verantwortlich sind. Eine mehr als gelungene Reise mit dem Doktor, die von Daniel Indro sehr ordentlich inszeniert ist, wobei die Protagonisten ihren Fernseh-„Originalen“ nicht komplett entsprechen, dafür jedoch die Gruselszenen bestens eingefangen sind. Der vorliegende Band enthält die Titan-Comics Originalausgaben „Dr. Who – New Adventures With The Tenth Doctor“ 6-10. (hb)
Doctor Who: Der 10. Doctor, Bd. 2: Die weinenden Engel von Mons
Text: Robbie Morrison
Bilder: Daniel Indro, Eleonora Carlini
132 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
16,99 Euro
ISBN: 978-3-957-98645-0