Romantisch glotzen, Tauben, irgendjemand krächzt „Amazing Grace“ auf Deutsch, dann wird man mit Reis beworfen und fährt mit einem geliehenen Oberklassemodell in die glückliche Zukunft, sprich in das örtliche Hotel wo der Kuchen und die bucklige Verwandtschaft wartet. In diesem Standardablauf fand sich ja schon manch einer wieder, der nicht ganz hundertprozentig hineinpasste. Aber uns fällt wohl niemand ein, der weniger auf Altes, Neues, Geliehenes und Blaues abfährt als Wade Wilson. Und dennoch tritt auch Deadpool, so absonderlich es scheinen mag, vor den Traualtar. Und das gleich mehrfach. Denn in seiner wechselhaften Historie hat er den oft gar nicht braven Bräutigam schon des Öfteren gegeben, wovon wir uns in dieser furiosen Sammlung aufs Köstlichste überzeugen dürfen. Zentral dabei ist natürlich seine Sause-Ehe mit Shiklah, der Königin der Unterwelt, der er ja eigentlich dem Oberchef der Blutsauger himself als Weib zuführen sollte. Das ging gehörig in die Binsen, und Wade schnappte sich die Holde – nun ja, wenn dieser Dämon denn manchmal als solche in Erscheinung tritt, sonst ist sie ein rechtes Monster – lieber selbst. In „Die Hochzeit von Deadpool“ segelt er denn auch wirklich in den Hafen der Ehe ein: nachdem Doctor Strange und Captain America dankend ablehnen, steht der erzkatholische Nightcrawler gerne als Friedensrichter bereit und erklärt die beiden zu… ähem… Pizzagesicht und Monsterklaue, wobei alles auf den Beinen ist, was bei Marvel Rang, Namen und Kostüm hat.
Rund um diese Zentralstory ranken sich dann episodisch andere Momente, in denen Herr Wilson schon den Hochzeiter gab – so etwa bei einem Alien-Angriff in Las Vegas, bei der Ms Marvel ihrer Sinne beraubt wird und zu einer Shotgun Wedding mit ihm bereit wäre, oder bei der eher halluzinogenen Folge „Mit dieser Hand traue ich mich“, in der Deadpool seiner alten Liebe Vanessa in Form einer Handpuppe nachtrauert (keine Fragen stellen! Es ist Deadpool!). Dann wieder klaut er sich den Continuity-Stein und schreibt die Geschichte des DC-Universums neu, indem er Genosha ehelichen will, die ihn mit Daredevil verwechselt, oder ist einer jungen krebskranken Dame beim Selbstmord behilflich, den man aus versicherungstechnischen Gründen als verunglückte Eheschließung bei den Niagara-Fällen tarnt. Dann wieder deliriert er im ewigen Eis und hält sich nur durch die Illusion am Leben, er sei auf dem Weg zu seiner entführten Ehefrau, oder er lässt sich in „Quickie“ wirklich berauschen und stellt dann ernüchtert fest, dass die Hochzeit nur vorgetäuscht war, um ihn zu beklauen. So geht der wilde Ritt durch Deadpools wechselhafte Ehekarriere weiter, wobei die Armada von Frauen nur durch die Gaststars überboten wird…
Unter der losen Thematik „Ein unsterblicher, leicht psychopathischer Söldner heiratet“ feuern hier so ziemlich alle Autoren, die jemals ein Deadpool-Abenteuer ersonnen haben, eine Ideenkanonade ab, die vom reichlich Abgedrehten über durchaus einfühlsam-tragische Momente (Deadpool gibt den überfallenen Hochzeiter, um seiner Auftraggeberin ein würdiges Sterben zu ermöglichen, weil er das Krankheitsbild nur allzu gut kennt) bis hin zu den Konstruktionen geht, für die die Eskapaden des Merch with a Mouth zu recht besonders geliebt werden – nämlich das Spiel mit der Comic-Konvention selbst. Genüsslich amüsieren sich Deadpool und die Macher über die ständigen Mega-Cross-Over, die wieder einmal alles verändern – Herr Wilson klaut dem rumliegenden Thanos einfach den gar nicht existierenden siebten Infinity-Stein, der ihm ermöglicht, im Marvel-Universum so zu hausen wie er das für richtig hält – und den sich am Ende Joe Quesada und Straczynski behutsam schnappen, bevor er den geifernden Marvel-Geeks in die Hände fällt.
Nahezu lyrisch dann die Episode, in der ein halbtoter Deadpool einen Schlitten durch das ewige Eis schleppt, eingeleitet von einer brachialen Parodie auf die Eingangsworte von Moby Dick, in der er seiner vermeintlichen Ehefrau Penny huldigt (um gleich festzustellen, dass die Story, in der sein Unterbewusstsein in Form eines Wolfs mit ihm spricht, doch eigentlich mehr von Jack London hat als von Melville). So entsteht eine knallbunte Achterbahnfahrt durch das Marvel-Universum, durch und durch respektlos, oft absurd (hier schießt die Episode mit einem zeitreisen Föhrrrerrr Adolf sicherlich den Vogel ab), oft mit intertextuellen Anspielungen, immer unterhaltsam und für Nicht-Kenner der Materie sicherlich hermetisch verschlossen. Wir hingegen haben unsere diebische Freude, nicht zuletzt, weil auf dem Cover dieses Kompendiums (dessen deutscher Titel komplett lautet: „Marvel Now! Paperback: Deadpool, Band 5: Die Hochzeit“, oder so…) in dem sich die US-Deadpool-Ausgaben 26-28 sowie das Deadpool Annual von 2013 versammeln, laut Guinness-Buch wohl die meisten Charaktere ever versammelt sind. Wir glauben das jetzt mal so, steht immerhin im Vorwort. (hb)
Deadpool: Die Hochzeit (Marvel Now! Paperback: Deadpool, Band 5)
Text: Gerry Duggan, Brian Posehn, Fabian Nicieza, Mark Waid, Joe Kelly
Bilder: Scott Koblish, Mike Hawthorne, John McCrea
172 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
14,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-634-4