M.O.R.I.A.R.T.Y, Band 2 (Splitter)

Mai 17, 2024
M.O.R.I.A.R.T.Y, Band 2: Der Dieb mit den hundert Gesichtern (Splitter Verlag)

Wettrennen um die Welt! Unter diesem Motto rasen diverse Luftschiffe von einem Kontinent zum anderen. Beim Stopp in Paris, wo die Zeppeline am Eiffelturm andocken, macht sich die englische Besatzung allerdings auf eine ganz eigene Suche. Undercover sind da nämlich niemand anders als Sherlock Holmes und sein Kompagnon Watson unterwegs, die einer Serie von Diebstählen auf der Spur sind. Bei jeder Etappe des Rennens kam es zu spektakulären Raubüberfällen: in Bombay riss man sich einen Diamanten unter den Nagel, eine Ming-Vase kam abhanden – und Holmes schließt messerscharf, dass der Missetäter jeweils den Tross des Rennens zur Flucht nutzte. In Paris macht sich Holmes gemeinsam mit Kommissar Lerouge auf die Hatz und stellt den Dieb in der Tat in flagranti. Der entpuppt sich als heftig gestörte Gestalt: gesegnet mit einer massiven Psychose, schlüpft er im Zuge des Verhörs in mehrere Rollen – offenbar liegt eine gespaltene Persönlichkeit vor, die unter anderem auch Holmes selbst treffend imitiert.

Ein Fall für den Psychiater also, und nachdem der Chefarzt grade verhindert ist, macht sich der anwesende Gastforscher ans Werk: ein österreichischer Jude namens Sigmund Freud. Hinter verschlossenen Türen lässt diese Gestalt alsbald die Maske fallen und offenbart sich als Sherlocks Erz-Nemesis Moriarty, der in Verkleidung den schizophrenen Täter für seine Zwecke rekrutiert und nach London schickt. Sherlock durchschaut das Spiel zu spät, befreit den in den Katakomben der Psychiatrie gefangenen echten Freud und kann Moriarty und seinem neuen Gefolgsmann nur noch per Luftschiff folgen, wobei sich auch der interessierte Psychiater anschließt. Auf der Reise kann man einen von Moriarty eingefädelten Anschlag auf Watsons Leben gerade noch vereiteln, aber Holmes kann nicht verhindern, dass Moriarty nach London gelangt und dort sein Spiel mit unbekanntem Ziel weiter treibt…

Da kommt es als Abwechslung fast schon gelegen, dass drei Monate nach der Rückkehr des Detektivs, seines regulären Mitbewohners und des neuen „Roomies“ Freud zwei Vertreter von Lloyd’s of London den Auftragsermittler kontaktieren. Eine ganze Reihe von Schiffen ist auf hoher See unter mysteriösen Umständen verschwunden, wobei ein Überlebender erstaunliche Details berichtet: eine geheimnisvolle Macht hat die abhanden gekommene Gloria Scott per mechanischen Greifarmen einfach aus dem Meer gehoben und in die Lüfte entführt. Holmes lehnt den Fall zunächst ab, da er noch mit Moriarty beschäftigt ist, aber immerhin sucht er seinen Bruder Mycroft, der in Diensten der Regierung steht, auf und stellt ihn zur Rede. Mycroft muss zugeben, dass alle verschwundenen Schiffe höchst brisante militärische Fracht mitführten: eine „Differenzmaschine“, einen mechanischen Rechner, der es offenbar ermöglicht, eine vernichtende Superbombe zu konstruieren…

Runde 2 in Fred Duvals und Jean-Pierre Pécaus (u.a. „Wonderball“, „Tag X“) originellem Beitrag zum Sherlock-Versum: stand in der ersten Episode, „Das mechanische Imperium“, noch die literarische Pastiche im Vordergrund (Holmes traf da auf Dr. Jekyll, dem Moriarty sein Serum klaute, um daraus eine Armee von Supersoldaten zu basteln), setzen die beiden in der Story um den Dieb mit den 100 Gesichtern den Fokus auf die Steampunk-Elemente, die à la Jules Verne die Wissenschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts aufnehmen und anachronistisch leicht überhöhen. Da sausen dampfbetriebene Gefährte durch die Straßen von Paris, auf dem Jahrmarkt kommt man an Lumières Kinematograph vorbei, Edisons Kameratechnik filmt Holmes beim Raub der Kronjuwelen, und vor allem zeichnen sich diverse Unholde durch mechanisch aufgepeppte Gliedmaßen aus – Lady Mechanika lässt wieder grüßen.

Wunder der Technik gibt es auch beim gigantischen Diebstahl der Schiffe auf hoher See zu bestaunen, wo irgendwo in der Schnittmenge zwischen Vernes Robur dem Eroberer und dem Schiffe schluckenden Curd Jürgens, der James Bond als Stromberg in „The Spy Who Loved Me“ das Leben schwer machte. Nicht fehlen darf Holmes‘ Methodik der Deduktion, die immer wieder zu erstaunlichen Ergebnissen führt, so etwa als Holmes den angeblichen Freud überführt, als der die angebotene Zigarre ablehnt, was der echte bekennende Schmauchfan niemals getan hätte. Sehr genüsslich breiten Duval (u.a. „Schwarze Seerosen“, „Nevada“) und Pécau vor allem das Potenzial aus, das das Auftauchen von Freud bietet: nicht nur durch die Blume spricht Freud den empörten Watson auf das doch bemerkenswerte Arrangement an, in dem er mit Holmes wohnt, lebt und arbeitet – und sich dabei immer wieder gebärdet wie ein eifersüchtiger Hausdrache.

Auf den Wortwechsel „Watson, ich werde Sie brauchen! – Ich gehöre ganz Ihnen, Holmes!“ kommentiert Freud trocken: „Eine Frau muss ihrem Mann gehorchen… Ihr Homo… Holmes verlangt nach Ihnen, Watson!“ – nur um kurz danach Holmes großzügig das Wundermittel Kokain anzubieten, das auch der historische Freud nicht ablehnte. Somit wieder eine Fundgrube von Anspielungen, Kontexten und Vexierspielen, das in diesen beiden Episoden von Gess, der auch einen der neuen franko-belgischen Conan-Bände inszenierte, wirkungsvoll im dynamischen klassischen Stil inszeniert wird. Wie schon Band 1 bringt auch diese Ausgabe als Splitter Double auf fast 100 Seiten die beiden Folgen der Storyline, die man damit vollumfänglich genießen kann. (hb)

M.O.R.I.A.R.T.Y, Band 2: Der Dieb mit den hundert Gesichtern
Text & Story: Fred Duval, Jean-Pierre Pécau
Bilder: Gess
96 Seiten in Farbe
Splitter Verlag
25 Euro

ISBN: 978-3-96219-401-7

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