Crepax: Dracula (Splitter)

Januar 22, 2024
Crepax: Dracula (Splitter Verlag)

Dracula im höchst eigenen Gewand des italienischen Maestro Guido Crepax: inhaltlich durchaus nahe an der Vorlage, jagt uns Crepax – dem literarische Adaptionen ja stets am Herzen lagen, gerne im erotischen Milieu wie „Die Geschichte der O“, „Emmanuelle“ und „Justine“ – hier irrlichternd durch die weidlich bekannte Geschichte des Oberherren der Untoten. Lucy Westenra und Mina Murray schreiben sich, Renfield sorgt als Zoophage für grausiges Erstaunen von Dr. Seward, die Demeter landet in England an, alle Besatzungsmitglieder tot, ein Hund springt von Bord. Lucy fällt mehr und mehr einer geheimen Macht anheim, die ihr die Lebensgeister buchstäblich aussaugt, während Mina aus Besorgnis über die ausbleibenden Briefe ihres Verlobten Jonathan Harker nach Budapest reist, wo sie ihn im Krankenhaus findet und vor Ort heiratet.

Als Dr. Seward sich aufgrund des starken Blutverlustes von Lucy keinen Rat mehr weiß, ruft er seinen alten Studienkollegen Abraham van Helsing, dem gleich Böses schwant. Man rettet sich per Bluttransfusionen, aber Lucy gleitet immer mehr ab und empfängt immer leidenschaftlicher die Besuche eines grausigen Wesens, das halb Wolf, halb Fledermaus zu sein scheint und Lucy letztlich tötet. Jonathan erschrickt sich indessen zu Tode, als er im Park eine Gestalt zu erkennen scheint, die seine Reise nach Transsylvanien zur Hölle machte – er vertraut seiner Frau Mina nun endgültig sein Tagebuch an, in dem er seine erschütternden Erlebnisse festgehalten hatte: zum Abschluss eines Hauskaufs reiste er auf Schloss Dracula, über den Borgo-Pass hinein in die Finsternis, wo ihn der Gastgeber mit dem vielsagenden „Seien Sie mir willkommen!“ empfängt.

Bald weiß Harker, dass er ein Gefangener ist, sein Kontrahent kein Mensch – und dass er den drei satanischen Frauen, auf die er in einem der verbotenen Räume stößt, demnächst vollends verschlingen werden. Harker gelingt die Flucht, aber Draculas Reise nach London kann er nicht verhindern, wo der finstere Lord im verfallenen Carfax sein Quartier aufschlägt – und schließlich gegen Harker, van Helsing und die verschworene Gemeinschaft antritt, die ihn aufhalten will…

Crepax wäre nicht Crepax, wenn er die im Roman angelegte, ungemein erotische Komponente des Vampir-Stoffs nicht genüsslich ausbreiten würde: Lucys Hingabe an ihre vampirischen „Besuche“ gerät zum dämonischen Stelldichein, mit lasziven Posen, die für Crepax typischen filmischen Schnitte mit Nah“aufnahmen“ von Augen, Mund und Händen und natürlich schmackigen Hinterteilen, die nur ein Manara besser inszenieren kann. Harkers infernalische Orgien mit Draculas drei Bräuten gestaltet Crepax als S&M-Spiel allererster Güte, kunstvolle Fesselungen des armen Harker inklusive (auch dies kann nicht überraschen, immerhin zeigte sich Crepax auch in anderen Werken durchaus beeindruckt von Bondage-Techniken).

Die typische Zersplitterung von Bildern in Einzeldetails setzt Crepax sparsam und höchst wirkungsvoll ein, insbesondere bei den erotische aufgeladenen Schlüsselszenen – aber auch gloriose Totalen, wie Dracula in voller Kriegsrüstung bei seiner stolzen Schilderung der Geschichte seiner Familie als wehrhafte Kämpfer gegen Invasoren aller Art, was optisch sehr an die Jahre später in Francis Ford Coppolas Filmfassung aufgenommene Rahmenhandlung erinnert. Auch sonst gestaltet Crepax seinen Dracula weit weg von den Filmfiguren, die er im (durchaus bizarren) Vorwort zur Ausgabe zeichnerisch spiegelt: kein Gentleman, Dandy oder Gruselonkel wie Bela Lugosi, Christopher Lee oder Klaus Kinski, nein, bei Crepax ist Dracula wie bei Stoker ein ungezähmtes, furchteinflößendes Tier, das ohne Gnade zuschlägt.

Und obwohl der zentrale Satz „Blut ist Leben!“ fällt, weicht Crepax keine Sekunde von seinem Schwarz-Weiß-Duktus ab. So kennt man ihn. Der Band, der 1987 erstmals erschien, eröffnete seinerzeit den Reigen von Crepax‘ Adaptionen klassischer Horror-Stoffe: im gleichen Jahr folgte noch „Dr. Jekyll and Mr Hyde“, 1989 legte er eine Version von Henry James‘ „Turn of the Screw“ vor (was wir unvergesslich in der Filmversion „The Innocents“, hierzulande unter dem Titel „Schloss des Schreckens“ kennenlernten) und fügte seinem Dracula 2002 noch die große „andere“ Gothic Novel hinzu: „Frankenstein“ geriet zu Crepax‘ letztem Werk. Lobenswert, dass der Splitter-Verlag auch dieser Adaptionen in ähnlich majestätischer Form vorlegt: in einem großen Band sind diese Fassungen, gemeinsam mit einer Version von Kafkas „Prozess“, ab Februar versammelt ebenfalls zu haben. (hb)

Crepax: Dracula
Text & Bilder: Guido Crepax, nach Bram Stoker
144 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
35 Euro

ISBN: 978-3-98721-314-4

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