Frankenstein (Splitter)

November 14, 2022
Frankenstein (von George Bess) Splitter Verlag

Arktis, frühes 19. Jahrhundert: der Forscher Walton ist von der Idee besessen, eine Passage durch das Packeis zu finden, und riskiert dabei Leib und Leben seiner Crew. Er staunt nicht schlecht, als ihm in der Einöde erst ein schemenhafter Hüne und dann ein ausgemergelter Mann über den Weg laufen, der den Unhold offenbar verfolgt. Zwischen Fieberanfällen und Bewusstlosigkeit enthüllt der schwer angeschlagene Victor Frankenstein seine Geschichte: aufgewachsen in Genf, interessiert er sich früh für das Geheimnis des Lebens und studiert – nach einem ersten Abstecher zu den Alchemisten vom Schlage eines Paracelsus – die wissenschaftlichen Versuche, die Naturgewalten in Form der Elektrizität zu bändigen. Beim Studium in Ingolstadt trifft Frankenstein seinen Mentor Professor Waldmann, der ihn zu Experimenten ermutigt, in denen per Elektroschocks toten Gliedern zumindest der Anschein von Leben eingehaucht werden kann, wie das Galvani vorführt.

Bald reichen die legal verfügbaren Leichen nicht mehr aus, und so tummelt sich Frankenstein mit seinem buckligen Faktotum Sven auf diversen Friedhöfen, um sich über finstere Kanäle Nachschub zu verschaffen. Als ein Zirkus in Ingolstadt Station macht und der mitreisende Riese bei einem Unfall stirbt, wittert Frankenstein seine Chance: endlich hat er einen Körper, dessen Ausmaße in seine Vorhaben passen. In einer wilden Sturmnacht gelingt es tatsächlich, per Blitzableiter tausende Volt durch den zusammengeflickten Leib zu jagen – mit dem Ergebnis, dass sich der Schöpfer mit Grausen von seiner Kreatur abwendet.

Während Frankenstein im Fieber zurückbleibt, wo ihn sein angereister Freund Henry Clerval pflegt, flieht das Geschöpf und macht bald mit streunenden Hunden und einem wilden Mob Bekanntschaft, vor denen es in den Wald entkommt. Dort löst es weiter Entsetzen aus, bis es im Stall einer Hütte Zuflucht findet, wo eine bitterarme Familie ihr karges Dasein fristet. Über Monate hinweg hilft der „gute Geist des Waldes“ im Verborgenen bei der Schwerstarbeit und lernt durch Zuhören und Nachahmen langsam aber sicher Sprache und sogar Lesen. Als das Geschöpf in der Tasche des Mantels, den es sich bei seiner Flucht umwarf, das Tagebuch Frankensteins findet, erschließt sich ihm die ganze Wahrheit: sein Vater hat sich abgewendet, die Menschheit verachtet ihn. Als er sich endlich durchringt, sich seiner „Gastfamilie“ zu offenbaren und ihn sogar diese mit Grauen betrachtet, schwört er Rache an seinem verantwortungslosen Schöpfer…

Schon mit seinem „Dracula“ legte Georges Bess eine kongeniale Adaption eines epochemachenden Schauerromans vor, die in viktorianisch anmutender Aufmachung in Großformat mit Goldprägung edlen Charme versprühte. Durchaus folgerichtig kredenzt uns Bess nun in ähnlicher Manier seine Version von Mary Shelleys Roman von 1816, der mit Fug und Recht als Mutter (sic) aller Gruselgeschichten um Kreaturen, Mad Scientists und Fraglichkeit des ungezügelten Forscherdrangs gelten darf. Bess setzt die Geschichte wieder in kraftvollen Tuschezeichnungen um, die sich verbal weidlich aus der Romanvorlage bedienen, alle zentralen Elemente präsentiert und sich dabei aber auch immer wieder einige Freiheiten gönnt.

Die zentralen Problemstellungen des Romans – Ethik einer Forschung ohne Grenzen, Egoismus, Verarbeitung der zeitgenössischen Faszination der aufkommende Naturwissenschaften – erscheinen dabei ebenso wie die eher psychologischen Aspekte der Identitätsstiftung sowie des Doppelgängers (der stets abweisende und abwesende Vater gibt seinem Kind keinen Namen und geht dann unweigerlich gemeinsam mit ihm unter) und der im literarisch-geistesgeschichtlichen Sinne romantischen Idee des Erhabenen in der Natur (gleichzeitig grausig und faszinierend – nicht umsonst lösten Marys Ehegatte Percy Shelley und Kollege Lord Byron mit ihren Gedichten über die Alpen den ersten Tourismus-Schub dorthin aus).

All das setzt Bess auch optisch in atmosphärischen, großformatigen monochromen Zeichnungen des ewigen Eises, des Waldes und der Landschaften wunderbar um. Gleichzeitig flechtet Bess durchaus elegant auch Elemente des Mythos ein, die im ursprünglichen Roman gar nicht enthalten sind: die Schöpfungsszene, bei Shelley eher am Rande ausgeblendet und durch „finstere Künste“ erklärt, erscheint bei Bess in voller Universal-Horror-Elektro-Gewitter-Szenerie – die Verfilmung von 1931 stand hier ebenso Pate wie in der Figur des buckligen Assistenten, der in diversen Filmversionen stets seine Dienste verrichtet, bei Shelley allerdings nicht vorkommt.

Besonders großen Raum gönnt Bess im Gegensatz zu vielen Adaptionen der Erzählung des Geschöpfes, das in seiner Entwicklung vom sprichwörtlich unbeschriebenen Blatt hin zum bitter enttäuschten Racheengel (das auf diesem Wege Schlüsselwerke wie John Miltons „Paradise Lost“ und Goethes „Leiden des jungen Werther“ liest, die für sein eigenes Schicksal symbolisch stehen) die philosophische Denkrichtung der tabula rasa repräsentiert, bei der John Locke im Gegensatz zu allem Determinismus argumentiert, dass der Mensch stets das Ergebnis der Prägungen seiner Umwelt ist. Hierbei schließt Bess auch durchaus wacklige Konstruktionen der jungen Autorin mit ein, wie etwa die Figur der türkischen Kaufmannstochter Safie, die ihren Geliebten in der Waldeshütte aufsucht. In der Kombination aus durchaus ungewöhnlichem inhaltlichen Blickwinkel und fulminanter graphischer Umsetzung ein weiterer Triumphzug für Georges Bess, der sich nun doch bitte weiteren ähnlichen Projekten widmen sollte. Da wäre z.B. noch der seltsame Fall eines gewissen Dr. Jekyll… (hb)

Frankenstein
Text & Bilder: George Bess, nach Mary Shelley
208 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
39,80 Euro

ISBN: 978-3-96792-362-9

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