Eigentlich ist alles wie immer. Die Daltons sind mal wieder geschnappt und trotten fein sauber in Orgelpfeifen-Manier angebunden hinter Lucky Luke und Jolly Jumper her, Richtung nächstes Gefängnis. Joe tobt und Averell hat Hunger. Doch kurz vor dem typischen Panel mit dem Sonnenuntergang taucht mitten in der Prärie etwas Spektakuläres auf. Eine riesige Skulptur, eine Hand, die eine Fackel trägt. Verantwortlich dafür ist ein Franzose namens Auguste Bartholdi, seines Zeichens Bildhauer, der einen ehrgeizigen Plan verfolgt. Er will zum Zeichen der Freundschaft zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten die größte Statue erschaffen, die die Welt je gesehen hat, namens „Die Freiheit erleuchtet die Welt“. Dazu braucht er Spenden, viele Spenden und geht deshalb mit dem bereits fertigen Teil der Statue, eben der Hand samt Fackel, auf Promotion-Tour. Die Statue, so sein Plan, soll auf einer Insel vor New York errichtet werden. Und da liegt der Hase im Pfeffer. Denn just auf dieser Insel plant der ehrgeizige Gefängnisdirektor Locker, der nun auch die Daltons beherbergt, ein ausbruchssicheres Gefängnis zu errichten. Und versucht daher, die Pläne Bartholdis zu vereiteln. Doch er hat nicht mit Lucky Luke gerechnet, der fortan Bartholdi begleitet. Sogar bis nach Paris…
Man ist nie zu alt. So verlässt der Cowboy, der schneller schießt als sein Schatten, nach 72 Jahren Serien-Historie zum ersten Mal den amerikanischen Kontinent in Richtung französische Hauptstadt. Verantwortlich dafür ist ein wunderbarer Kniff des Autors Jul (d.i. Julien Berjeaut), der die reale Geschichte der Freiheitsstaue mit der fiktiven von Lucky Luke verknüpft und dabei historische Persönlichkeiten auftreten lässt, wie das Morris und René Goscinny einst in ihren besten Tagen taten. Nur sind dies nun keine Westernhelden, oder berühmte Outlaws, sondern die Konstrukteure des Eifelturms samt Umfeld, allen voran Frédéric-Auguste Bartholdi, der 1876 tatsächlich mit dem „kolossalen Arm“ nach Amerika reiste, um Spenden für sein Projekt zu sammeln, auch wenn er dabei nicht durch die Western-Provinz tingelte, sondern diesen in New York ausstellte (bis zur endgültigen Fertigstellung der Statue sollte es noch zehn Jahre dauern). In Paris begegnen wir dann auch Gustave Eiffel und sogar Victor Hugo.
Mit Jul, der nach „Das gelobte Land“ (Band 95) seine zweite Lucky Luke Geschichte inszeniert, scheint Zeichner und Morris-Nachfolger Achdé einen kongenialen Partner gefunden zu haben, denn die Story strotzt vor Witz und Charme. Dabei sind die Gags keine alleinstehenden Mittel zum Zweck, sie sind wunderbar sanft in die Handlung eingebunden ohne diese zu arg zu strapazieren und versprühen einen spitzbübischen, ironischen Humor, der einem Goscinny alle Ehre macht (nicht umsonst ist ihm das Album gewidmet). Beispiele: der Gefängniswärter bemängelt das veraltete Foto Lucky Lukes, hier noch mit der inzwischen ersetzten, weil politisch unkorrekten Zigarette. Direktor Lockers Buch heißt „Die Leiden des jungen Wärters“ und seinen Käfigvogel, der eine Mini-Eisenkugel am Fuß trägt, nennt er Papillon. Auch ein aktueller Bezug ist dabei, eben als Locker anregt, eine Mauer zwischen den USA und Mexiko zu bauen. Und in Paris kommt dann ein wunderbarer Running Gag zum Tragen, als Lucky Luke wegen seines Outfits (schwarz, gelb rot) ständig für einen Belgier gehalten wird (Morris lebte in Brüssel). Auch wovon sich Gustave Eiffel zu seinem Turm inspirieren ließ, wird hier endlich geklärt.
Etliche andere Gags laden zu einem wissenden Schmunzeln ein, bis es dann am Ende – das sollte kein Geheimnis sein – zur feierlichen Einweihung der Freiheitsstatue kommt. Das Gefängnis, das Locker ursprünglich dort plante, wird auf einer Insel auf der anderen Seite des Landes entstehen und sollte auf seine Weise ebenfalls Teil der amerikanischen Geschichte werden. Den charakteristischen Westen Lucky Lukes, seine Saloons, seine Käffer, kennt man und man weiß längst, dass Achdé ein mehr als würdiger Nachfolger von Morris ist. In den Paris-Szenen legt er noch eine gehörige Schippe drauf und präsentiert die Stadt voller zeitgenössischer Details und in ausladenden Panels, inkl. einer furiosen Verfolgungsjagd auf der noch nicht fertigen Freiheitsstatue, die das Finale von Alfred Hitchcocks „Saboteure“ zitiert. Und am Schluss ist Lucky Luke einmal mehr schneller als sein Schatten, ehe er dann doch wieder wie gehabt in den Sonnenuntergang reitet – mit einem Zitat von Victor Hugo. Der Band erscheint, wie auch bei Asterix üblich, bei Egmont Ehapa Media in einer Soft- und Hardcover-Variante. (bw)
Lucky Luke, Band 97: Ein Cowboy in Paris
Text: Jul
Bilder: Achdé
48 Seiten in Farbe, Hardcover
Egmont Comic Collection
12 Euro (Hardcover)
6,90 Euro (Softcover)
ISBN: 978-3-7704-4040-5