Der Glöckner von Notre Dame, Band 2 (Splitter)

Januar 20, 2015

Glöckner von Notre Dame, Band 2 (Splitter)

Victor Hugos schillerndsten Figuren aus seinem berühmtesten Roman geben sich in der Comic-Adaption ein zweites und letztes mal ein Stelldichein: die schöne, anmutige Esmeralda und der mißgestaltete, klobige Quasimodo. Schön und häßlich und doch vereint, nicht nur als Waisenkinder, sondern auch als von der Gesellschaft Ausgegrenzte. Quasimodo sitzt inzwischen im Kerker, weil er auf Geheiß des unbequemen Dompropstes Frollo die junge Zigeunerin entführen sollte, in die dieser heimlich verliebt ist. Doch mit 20 Peitschenhieben kommt der bucklige Glöckner noch glimpflich davon. Derweil sind Pierre Gringoire und Esmeralda nach Zigeunersitte verheiratet, wobei sie ihren Neu-Gatten lediglich vor dem Galgen bewahren wollte. Ansonsten wird sie die Beziehung streng platonisch halten, eine Enttäuschung, die Pierre schnell verkraftet. Denn Esmeralda hat nur Augen für den Schönling Phöbus, der sie aus den Fängen Quasimodos gerettet hat. Eigentlich ist Phöbus bereits vergeben, trotzdem (oder gerade deshalb) willigt er einem Rendezvous mit Esmeralda ein. Frollo wird Zeuge dieses Treffens. Rasend vor Eifersucht sticht er Phöbus nieder. Der überlebt zwar, doch wird Esmeralda dieser Tat beschuldigt und landet im Kerker. Kurz vor ihrer Hinrichtung wird sie von Quasimodo nach Notre Dame entführt, wo sie Kirchenasyl bekommt. Doch dort wartet auch Frollo… und so nimmt das bekannte Unheil seinen Lauf, das von unerfüllter Liebe und Rache gekennzeichnet ist und in dem jeder der Beteiligten seinen tragischen Senf dazu gibt.

Die Verfilmungen des Romans landen auch heute noch fälschlicherweise in der Grusel-Schublade, was zu großen Teilen der Faszination am Schrecklichen, sprich des Glöckners, wie der Darstellung des legendären Horror-Schauspielers Lon Chaney in der Adaption von 1923, geschuldet ist. Dabei ist der Roman viel mehr (der im Original schlicht Notre-Dame de Paris heißt) und Quasimodo nur ein Teil der Handlung, die neben dem Schicksal der handelnden Personen auch ein Gesellschafts- und Sittenbild des späten Mittelalters entwirft. Ein Drama, in dem es nur Verlierer gibt. Es wird gerne gestorben (Quasimodos Tod am Grab der Esmeralda wird im Comic ausgespart, das Ende ist hier versöhnlicher), auch Hauptmann Phöbus, der Frauenschwarm, begibt sich letztlich nach der Esmeralda-Episode, die er nur knapp überlebt, in den für ihn schnöden Hafen der Ehe. Nur Gringoire, der Erzähler, kommt einigermaßen unbeschadet aus der Sache raus. Er bleibt bei den Zigeunern und genießt aufgrund seiner Bildung ein gewisses Ansehen (mich erinnert seine Darstellung in den beiden Bänden an einen römischen Zenturio aus Asterix, was durch seine Latein-Zitate noch verstärkt wird – nur die Knollennase fehlt).

Der Gegensatz – schön und häßlich – wie eingangs bereits erwähnt, zieht sich visuell durch die gesamte Adaption und findet schon auf den Titelbildern der beiden Alben seinen Niederschlag: das Cover von Band 1 zeigt die betörende, anmutige Esmeralda beim Tanz, während auf dem Cover von Band 2 Quasimodo brachial und mit unbändiger Kraft in gleißendem Licht die Glocken Notre Dames zum Klingen bringt. Bastides Stil ist äußerst elegant, bisweilen fast sanft, nicht ganz realistisch und farblich auch nicht knallig. Wobei die zeitgenössischen Dekors und die Straßenansichten von Paris äußerst detailreich wiedergegeben sind, ohne jedoch aufdringlich zu wirken. Dagegen steht auf der anderen Seite die dramatische, fatale Handlung, die Tote und Versehrte hinterläßt und bei der man eher martialische Bilder (womit wir wieder bei den Real-Verfilmungen wären) im Kopf hat. Bereits mit seinem ersten Werk als Zeichner von Yslaires Der Krieg der Sambres konnte Jean Bastide überzeugen. Hier entfernt er sich von Yslaires Sambre-Stil (und dessen eigenwilliger Farbgebung), etabliert seinen eigenen und tritt gleichzeitig noch mit Robin Recht (Das Dritte Testament, dt. bei Carlsen) als Autor auf den Plan. Das Ergebnis ist eine gelungene Adaption eines Literatur-Klassikers und gleichzeitig ein Augenschmaus, nicht nur in der Person Esmeraldas. (bw)

Der Glöckner von Notre Dame, Band 2: Quasimodo
Text: Jean Bastide, Robin Recht
Bilder: Jean Bastide
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
14,80 Euro

ISBN: 978-3-86869-571-7

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