Alice Matheson, Band 5 (Splitter)

Juni 23, 2017

Sam Gibbs ist ein Turbo-Nerd. In den unteren Etagen des Londoner Krankenhauses, in dem auch Schwester Matheson ihren finsteren Hobbies nachgeht, versieht er stoisch seinen Job in der Wäscherei. Er wohnt in einer mit Star Wars-Postern gepflasterten Kellerwohnung, zockt mit einem Kumpel gerne mal online Ego-Shooter und hat nebenbei in der Damenumkleide des Krankenhauses eine geheime Kamera installiert, mit der er sich holde Weiblichkeit zu Gemüte führt. Ganz oben steht für ihn dabei Schwester Shirpa Rays, die er aus der Ferne anhimmelt (manch einer würde sagen stalkt), die aber dem linkischen Plops keinerlei Beachtung schenkt. Ein wenig zu viel Zeit hat sie dagegen für den Schwerenöter Dr. Chad Cooper, der mit ihr in Nebenzimmern und Besenkammern ein Techtelmechtel unterhält, das Shirpa letztendlich in andere Umstände und damit in größte Nöte stürzt.

Dank seines Spürsinns (oder auch seiner manischen Obsession, wegen derer er sogar Shirpas Müll durchsucht) kommt Sam hinter die Sache und stellt Cooper bei nächster Gelegenheit. Der zeigt sich wenig beeindruckt, worauf sich Sam durchaus ruppig an dem sauberen Herrn vergreift. Da trifft es sich fast gut, dass das Krankenhaus wenig später von Zombies überrannt wird. Gibbs flüchtet sich mit einer kleinen Schar in die ihm bestens bekannten Kellerräume und schwingt sich, ganz im Gamer-Modus, zum Anführer auf. Mit seiner angebeteten Shirpa und der pummeligen Kollegin Berthie führt Gibbs alsbald einen verzweifelten Rückzugskampf auf Leben und Tod…

It’s raining men! Oder vielmehr Zombies. In diesem Kapitel von Jean-Luc Istins „Untote übernehmen das Krankenhaus“-Serie hagelt es zum Einstieg buchstäblich Zombies vom Dach, bevor sich das Geschehen in Flashbacks, in denen sich Gibbs an die zurückliegenden Tage erinnert, langsam entfaltet. Gibbs liefert dabei eine typische Außenseiter-Figur: von Jugend auf gehänselt und selbst von der eigenen Mutter als Nichtsnutz abgetan, führt er eine Existenz, die an die Kapriolen einer Fourty Year Old Virgin erinnern. Nur dass Gibbs in keiner Weise komisch daherkommt: eher bedrohlich wirkt der Gaming-Troll, der seinen Job genauso wie sein Leben hasst und nur durch seine durchgeknallten Träumereien, in denen er mit Schwester Rays entflieht, manchmal einen Lichtblick erhascht. Erst die durch die Zombie-Attacke ausradierten Konventionen, sozialen Rollen und Machtgefüge geben ihm die Chance, seine Konsolenfantasien auszuleben – für ihn, der jedes Level von „Resident Evil“ und „Silent Hill“ gespielt hat, scheint endlich eine Chance gekommen, für Shirpa den Helden zu geben.

Mit Gusto wirft er sich in seine Rolle als Survivalist, als der, der weiß, was hier zu tun ist, komplett mit improvisierter Rüstung und Bohrmaschine als Zombie-Kill-Instrument. So liefert die Zombie-Plage für ihn nicht die unangenehme Störung, die sie für die psychopathische Mörderin Alice bietet, sondern eher die Chance auf Selbstverwirklichung: seine Gaming-Welt wird zur Realität, mit ihm als Protagonist. Dieser beißende Kommentar auf soziale Verhaltensmuster (Ausgrenzung, Mobbing, aber auch Isolation und Realitätsverlust der Geeks und Nerds) fügt dem gewohnten Zombie-Kanon (eine Ausnahmesituation entfesselt atavistische Züge in den Menschen) eine spannende Facette hinzu, bei der die titelgebende Alice nur noch in einer kleinen Nebenrolle auftritt, in der sie im Umkleideraum gewohnt gefühlskalt-sachlich die Lage kommentiert, als Shirpa ihr ihr ganzes Elend beichtet. Gewohnt actionreich, krachig und brutal von Lucio Leoni und Emanuela Negrin gezeichnet, bringt uns dieses Kapitel schwungvoll in nächste Nähe zum Schlussakkord, der in Band 6 wartet und in dem wir dann hoffentlich den „Ursprung des Übels“ erfahren. Im September wissen wir mehr. (hb)

Alice Matheson, Band 5: Die Obsession des Sam Gibbs
Text: Jean-Luc Istin, Stéphane Betbeder
Bilder: Lucio Leoni, Emanuela Negrin
48 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
14,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-304-2

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