Einmal mehr sind Kurzgeschichten unterschiedlichster Couleur Trumpf in Band 5 der Komplett-Ausgabe rund um den „Leibwächter Hase“ (der Verlag veröffentlicht abwechselnd frühe und spätere Bände der Reihe – bis September werden dann die Bände 1 bis 14 durchgehend vorliegen). „Blutige Schwingen“ beinhaltet vier Einzel-Storys (plus einen Gastbeitrag) und einen Zweiteiler. Das übliche lobpreisende Vorwort stammt diesmal von keinem Geringeren als Marvel Mastermind Stan Lee, für den Usagi-Schöpfer Sakai die Sonntagsseiten des Spider-Man Zeitungsstrips letterte (wie bekanntlich auch „Groo der Wanderer“ für Sergio Aragonés).
Los geht‘s mit „Frost und Feuer“: Seine Schwerter sind das Heiligtum eines jeden Samurai. Und das seiner Familie. So beauftragt die Witwe Koriko den Ronin Miyamoto Usagi, die Schwerter ihres verstorbenen Mannes zu finden und zurückzubringen, damit diese eines Tages an ihren Sohn weitergegeben werden können. Ein vermeintlich einfacher Job, der sich jedoch als undurchführbar erweist. Denn der Samurai hatte eine heimliche Geliebte, die die Schwerter nun als Andenken aufbewahrt. Die Story ist von Traditionen und Gefühlen geprägt, welche hier gegenpolig auftreten und sich gepaart mit Niedertracht und Geldgier zu einer veritablen Tragödie entwickeln, die das Dilemma für Usagi zwar auflöst, dabei aber (fast) nur Verlierer zurücklässt
Ganz anders angelegt ist „Eine Drachen-Geschichte“, die aus drei Perspektiven erzählt wird. Zuerst lernen wir die traditionelle Arbeit eines Drachenbauers kennen, den aufwändigen und akribisch geschilderten Herstellungsprozess eines Riesendrachen für das Drachenfest. Dann berichtet ein Falschspieler einen anderen Handlungsstrang und schließlich führt Usagi beides zusammen, als er erst gezinkte Würfel aufdeckt und ihm anschließend mit Hilfe eben jenes Riesendrachen die Flucht gelingt. Wunderbares Storytelling, das Tradition und Action verknüpft, fast mit einer Prise Fantasy, nur ist der Drache nicht aus Fleisch und Blut…
In „Blutige Schwingen“, dem Titel gebenden, besagten Zweiteiler, kommen dann tatsächlich Fantasy-Elemente zum Tragen, denn hier begegnen wir erstmals in der Serie dem Clan der Komori-Ninja – Fledermäusen mit Klingen an den Flügeln (zur Erinnerung: wir haben es in der Reihe stets mit anthropomorphen Figuren zu tun – fast, s.u.). Die Komori terrorisieren ein Bauern-Dorf und planen einen Goldtransport zu überfallen. Damit wollen sie sich als Nachfolger der Neko-Ninja bei Fürst Hikiji „bewerben“ (dem einzigen Menschen in der Serie), der bekanntlich Shogun werden will anstelle des Shoguns. Usagi, der zufällig in das Dorf gelangt, greift ein und hilft den Bauern – ganz im Stile der sieben Samurai, nur eben solo – die Pläne der Komori zu vereiteln. Vorerst. Hier ist wieder Platz für eine actionreiche Klopperei, die Sakai gewohnt rasant in Szene setzt. Und die Komori, die natürlich in ihrer Höhle mit dem Kopf nach unten hängend ihre Pläne schmieden, sind eine echte Bereicherung des Serien-Personals.
Ruhiger wird es dann wieder in „Der Weg des Samurai“: Usagi trifft den berühmten und alternden General Oyaneko, um dessen Heldentaten sich bereits Legenden ranken. Der ist in Ungnade gefallen und wurde von seinem Herrn zum Dorfverwalter degradiert, ein Job, für den er zum einen überqualifiziert und zum anderen zur Untätigkeit (ein Samurai, der nicht kämpft, ist kein Samurai) verdammt ist. Außerdem hat Oyaneko nicht mehr lange zu leben. Er ist todkrank, weshalb er mit Hilfe Usagis einen ehrenhaften Tod erhofft, der eines Samurai würdig ist. Ehre, Schicksal und Vernunft spielen eine große Rolle in dieser Story, die versöhnlich und dennoch traurig endet.
Nun folgt ein Highlight des Bandes. Hinter dem sperrigen Titel „Der einsame Bock und sein Junges“ verbirgt sich eine indirekte Fortsetzung der Oyaneko-Story und natürlich eine Parodie oder besser Hommage an den Manga-Klassiker „Lone Wolf & Cub“ („Kozure Okami“): Yagi, beim gleichen Herrn wie General Oyaneko in Ungnade gefallen (mittels Intrigen und unberechtigten Anschuldigungen), zieht mit seinem kleinen Sohn durch die Lande und nimmt Mordaufträge an. Wieder bedingt durch Lügen und perfide Machenschaften hetzt man Usagi und Yagi gegeneinander auf, es kommt zum Duell zwischen den beiden, das in eine regelrechte epische wie dramatische Schlacht ausartet, inkl. tödlicher Gimmicks am Kinderwagen, die der kleine Sohn virtuos einsetzt. „Lone Wolf & Cub“ wurde in den Siebziger Jahren bereits intensiv verfilmt und bei uns auch bekannt durch die Cover, die u.a. Frank Miller beisteuerte (28 Bände bei Planet Manga/Panini, z.Zt. komplett vergriffen).
Bevor der Band mit einer Cover-Gallerie schließt, präsentiert er als Schmankerl noch eine Kurzgeschichte, die von Sakai weder geschrieben noch gezeichnet wurde – wahrlich eine Seltenheit. Verantwortlich für „Der Tokage-Gott“ ist Jim Lawson, der Fans der Teenage Mutant Ninja Turtles (die auch schon mehrmals mit Usagi „crossoverten“) als langjähriger Zeichner der TMNT-Reihe bekannt ist. In der kleinen Episode tritt Usagi als Tokage-Godzilla auf (die Tokage sind die echsenartigen Plagegeister, die immer wieder die durch die Geschichten wuseln) und findet seinen „Meister“. Witzig und anders. (bw)
Usagi Yojimbo, Band 5: Blutige Schwingen
Text & Bilder: Stan Sakai, Jim Lawson
152 Seiten in schwarz-weiß, Softcover
Dantes Verlag
15,95 Euro
ISBN: 978-3-946952-21-3