Hochmut. Fall. Verdammnis. Fegefeuer. Läuterung. Auferstehung. Das klingt wie eine Mischung aus Bibel und Dantes Göttlicher Komödie. Und eben dieses ist es auch, wobei die Hauptperson sich nur als Teufel kleidet und eigentlich ein Streiter für Recht und Gerechtigkeit sein sollte. Aber in dieser klassischen Story, die zu den großartigsten Würfen des gesamten Marvel-Universums zählt – und das ist definitiv nicht zu hoch gegriffen – durchleidet Matt Murdock ein Schicksal, wie es auch den guten alten Hiob nicht schlimmer treffen könnte: Hochmut: Matt behandelt Liebste und Freunde alles andere als zuvorkommend, seine Freundin Glori entfremdet sich von ihm, seine Kanzlei mit Foggie Nelson steht vor dem Aus. Fall: seine Verflossene Karen Page, die ihr Heil in einer Filmkarriere suchte und stattdessen nur die Heroinabhängigkeit fand, verrät seine Geheimidentität für einen Schuss.
Es dauert nicht lange, bis der wahre Teufel hierzu höhnisch lacht: der Kingpin webt ein grausames Netz, in dem Matt sich zunehmend verfängt. Es beginnt fast unmerklich: Steuerprobleme, Schecks für den Hauskredit kommen nicht an. Strom und Telefon werden abgestellt. Dann Vorwürfe des Betrugs, vorgetragen von Polizisten, die es eigentlich besser wissen sollen, die der Kingpin aber gefügig zu machen versteht. Vor einer Gefängnisstrafe bewahrt Foggie ihn gerade noch, aber Matt verliert seine Zulassung, seine Konten sind eingefroren – und sein Haus explodiert in einem Feuerball. Obdachlos und zunehmend paranoid, weiß er nun: es ist der Kingpin, der alles kontrolliert, auch, wie er im Wahn meint, seine Freunde. Schon fast gebrochen konfrontiert er ihn, will Rache für sein zerstörtes Leben, aber der Koloss besiegt ihn mühelos – man inszeniert den Tod eines Säufers. Matt entkommt, aber landet in der Gosse, endgültig gebrochen, im Fieberwahn, wo ihn dann die Ordensschwester findet, die ihm auch schon nach seinem schicksalhaften Unfall Trost und Hoffnung spendete. Er kommt zu Kräften und nimmt die Spur seines Peinigers auf, während Karen es irgendwie nach New York schafft und Foggie um Hilfe bittet. Der Kingpin erkennt sein Scheitern und greift zu immer extremeren Mitteln, steckt einen Psychopathen ins Dardevil-Kostüm, lässt Zeugen töten und den Journalisten Ben Urich, der die Wahrheit ahnt, einschüchtern. Aber der buchstäblich wieder aufgestandene Teufelskerl ist unaufhaltsam auf dem Weg zur finalen Konfrontation…
Neben dem genialen Elektra-Run und der Miniserie ‚Der Mann ohne Furcht‘ stellt ‚Born Again‘ zweifelsohne die definitive Daredevil-Story dar. Was Frank Miller und David Mazzucchelli 1986, kurz von ihrem Triumph mit ‚Batman: Year One‘, hier schon ablieferten, weist weit über das kommerzielle Medium Comic hinaus und sprengt inhaltlich und gestalterisch jede Konvention. Die größte Bedrohung eines Helden ist nicht eine intergalaktische Invasion, ein verrückter Wissenschaftler oder eine Horde von Superschurken: Miller privatisiert und personalisiert die Apokalypse, indem die wahre Vernichtung schlicht und ergreifend durch den Verlust der Existenz hereinbricht. Matt Murdock verliert nicht etwa seine Kräfte, sondern das, was jeden Menschen ausmacht: seine Freunde, seinen Besitz und letztlich sein Leben. In einer mehr als nur oberflächlich biblischen Assoziation steigt er hinab in den untersten Höllenkreis, symbolisiert im Leben auf der Straße, und verbüsst dort die Strafe für seine Rücksichtslosigkeit und Selbstherrlichkeit, mit der er Karen nach Amerika und Glori in die Arme von Foggie getrieben hat.
Der mit unglaublicher Brutalität vorgehende Kingpin – Miller baut hier verschiedentlich Szenen ein, die das Gewaltfurioso von Sin City mehr als einmal vorwegnehmen – will den verhassten Murdock nicht einfach töten, sondern leiden sehen, und nur die göttliche Katharsis, verkörpert in der Ordensschwester Maggie, die als Mutter in sein Leben tritt und ihn an seine Stärken erinnert, erlöst ihn: denn wie der Kingpin erkennen muss, ist ein Mann ohne Hoffnung auch ein Mann ohne Furcht, und als solcher kehrt der geläuterte Matt zurück ins wahre Leben, sein Heilungsprozess stellvertretend auch für seine seelische Genesung. Seine Agonie, Wahnvorstellungen und langsame Auferstehung packt Miller in die für ihn typischen inneren Monologe, die hier im Gegensatz zu den leer-pathetischen Eskapaden eines ‚Sin City 2‘ oder gar ‚Holy Terror‘ in ihrem existentialistisch-elegischen Ton noch organisch aus der Handlung erwachsen und nicht aufgesetzt wirken. Mazzucchellis Gestaltung bleibt weitgehend in seinem leicht abstrakten, reduzierten, aber gleichzeitig detailreichen Stil, der in Schlüsselszenen immer wieder expressiv-dynamisch aufgebrochen, in filmische Sequenzen zerlegt und in symbolische Tableaus überhöht wird.
Ein intensives, immer wieder faszinierendes, psychologisch tiefschürfendes und über sich hinausweisendes Werk, das mit einem Charakter, der eigentlich zur zweiten Reihe der Schöpfungen Stan Lees gehörte, nichts anderes behandelt als Fragen des Menschseins selbst. Absolut brillant. Die vorliegende überarbeitete Neuauflage präsentiert auf mehr als 220 Seiten die US-Daredevil-Ausgaben 226-232 von 1986, ergänzt um eine Cover-Galerie sowie diverse Skizzen der Entstehungsgeschichte. Auch hier veröffentlicht Panini wieder eine Hardcover-Variante für Sammler, die auf 333 Exemplare limitiert und für 29 € zu haben ist. (hb)
Daredevil: Auferstehung
Text: Frank Miller
Bilder: David Mazzucchelli
228 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
19,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-390-9