Rast- und ruhelos wandert Usagi durch das Japan der Edo-Zeit, immer bereit für Abenteuer – die ihm auch regelmäßig begegnen – und dabei keinen Konflikt scheuend. Schließlich ist er Samurai, wenn auch ein herrenloser (also ein Ronin) und damit zu Ehre, Höflichkeit und Gerechtigkeit verpflichtet. Sein Kodex (Bushido – Der Weg des Kriegers) will es so. Bereits seit 1984 setzt der 1953 in Kyoto geborene Amerikaner Stan Sakai den „Leibwächter Hase“ (so die Übersetzung) in Szene und wurde dafür mit diversen Eisner Awards ausgezeichnet (zuletzt 2016). Die hier in diesen beiden Sammelbänden abgedruckten Geschichten stammen aus der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre. Liest man beide Bände am Stück (immerhin an die 400 Seiten) werden dabei zwei Dinge deutlich: Sakai wiederholt sich nie, seine Usagi-Stories strotzen vor Abwechslung. Und sie basieren auf detaillierten und intensiven Recherchen zur Geschichte und zeitgenössischer Kultur Japans.
So trifft Usagi in „Kaiso“ (in Band 10: „Am Rande des Lebens… und des Todes“) auf einen Seetangbauern, der offenbar gegen einen Konkurrenten ausgespielt werden soll. Eigentlich sucht er in der Gesellschaft des Bauern nur Ruhe und Frieden und ist von dem einfachen Leben angetan. Eine Story wie eine Fingerübung, die einmal mehr alte Traditionen näher bringt. An sich sind die Geschichten der beiden Bände abgeschlossen und einzeln lesbar. Doch immer wieder greift Sakai Personen und Handlungen direkt anschließend oder später wieder auf, bzw. setzt sie fort. So spielt der Schurke aus Kaiso auch in der zweiten Geschichte eine Rolle. Hier begegnet Usagi auch erstmals Inazuma, einer fähigen Schwertkämpferin, mit der er am Ende des Bandes noch eine Episode bestreiten wird („Wie Inazuma… und Donner“). Nachdem der dämonische Jei einen Solo-Auftritt bekommt („Schwarze Seele“), zeigt Sakai in dem Zweiteiler „Nudel“ die grausame Seite des damaligen Japans, als ein Unschuldiger unerbittlich als Sündenbock hingerichtet wird und Usagi gemeinsam mit der befreundeten Diebin Kitsune raffiniert und ebenso unerbittlich Rache übt und damit das Gesetz in die eigene Hand nimmt.
In der zweiten Hälfte des Bandes halten wieder diverse Fantasy-Elemente Einzug in die Geschichten. So begegnen wir erneut den beiden kuriosen Ninja-Clans der fliegenden Fledermaus-Komori-Ninjas, die Chizu verfolgen, die Chefin des Neko-Clans, und den Mogura-Ninjas, die sich als Maulwürfe durch die Erde graben (alle Charaktere bis auf den Schattenfürsten Hikiji sind ja bekanntlich anthropomorph angelegt). Zuvor kämpft Usagi in „Der Zorn des verwirrten Gespinsts“ gegen ein monströses Mischwesen und einen Tanuki, einen japanischen Marderhund. Stan Sakais ausführliche Anmerkungen zu den Geschichten und deren Recherchen dazu, sowie eine Cover-Galerie beschließen den Band.
In „Jahreszeiten“, dem aktuellen Band 11 der Reihe, die sich nach den US-Paperbacks von Dark Horse richtet, geht es ähnlich abwechslungsreich weiter. Zwei kurze Stories kommen auch hier ganz ohne Usagi aus, eine wieder mit Jei („Überfahrt“, gleichzeitig eine Hommage an Nosferatu) und eine, die das Schicksal des Generals Ikeda erzählt („Die Langmut der Spinne“), der das Leben als einfacher Bauer unfreiwillig zu schätzen lernt. Immer gerne beginnt Sakai den Einstieg in neue Geschichten mit Panels, die eine filmische Abfolge imitieren: die zeremonielle Begrüßung eines Samurai vor einem Schwertkampf wird in gleich großen Panels aus der immer gleichen Perspektive gezeigt („Ein welkes Feld“, hier zitiert Sakai ein Schwertduell aus Kurosawas „Die Sieben Samurai“ und orientiert sich gleichzeitig an sattsam bekannten Western-Duellen). Oder eine sequentiell aufgeteilter Usagi, der einen schneebedeckten Abhang hinab wandert, welcher in seiner Gänze zu sehen ist („Ein Versprechen im Schnee“, mit einem wunderbaren Clou am Ende).
Neben diesen Einzelepisoden vergisst Stan Sakai auch das politische Umfeld nicht, das Gute und das Böse, in dem die Geschichten angesiedelt sind. Von Fürst Hikiji geht eine ständige Bedrohung aus. Er, der intrigante Schattenfürst, giert dauerhaft nach Macht, mit seinem mächtigen Lakai Fürst Hebi (seinem Charakter entsprechend als Schlange dargestellt), der jedoch auch sein eigenes Süppchen kocht. Und auf der anderen Seite steht Fürst Noriyuki, Herr über die Geishu Provinz, der als trolliger, gütiger Panda eine stets sympathische Figur macht. Ihm zu Diensten ist die Kämpferin Tomoe Ame, die am Ende des Bandes Usagi aus einer brenzligen Lage befreit. Auch hier folgen wieder Sakais Anmerkungen, u.a. zur Geister-Katze, der Obake-Neko, die in diesem Band für das Fantasy-Element sorgt. Sakai geht mit den Auftritten seines inzwischen reichhaltigen Figuren-Ensembles angenehm zurückhaltend vor. So haben Gen, wie auch Tomoe, hier lediglich einen kurzen Auftritt, während Zato-Ino, das blinde Schwertschwein gar nicht mitmischt.
Wie gewohnt und auf hohem Niveau präsentiert Sakai seine Geschichten mal sanft und träumerisch, mal hart und unbarmherzig, mal episch, mit perfektem Timing und immer wieder garniert mit Schwertkämpfen jeglicher Couleur (die einmal sogar von Mad-Man Sergio Aragonés getuscht werden, für dessen Groo Stan Sakai das Lettering übernimmt) womit wir wieder beim Stichwort Abwechslungsreichtum angelangt sind. Dazu gesellt sich ein tiefer Einblick in die japanische Kultur jener längst vergangenen Zeit. Beides zeugt, mit wieviel Herzblut Sakai immer wieder die Serie angeht, die höchst unterhaltsam, spannend und damit faszinierend zu gleich ist. (bw)
Usagi Yojimbo, Band 10: Am Rande des Lebens… und des Todes
Usagi Yojimbo, Band 11: Jahreszeiten
Text & Bilder: Stan Sakai
212 & 200 Seiten in schwarz-weiß, Softcover
Dantes Verlag
je 18,95 Euro
ISBN: 978-3-946952-18-3 (Band 10)
ISBN: 978-3-946952-19-0 (Band 11)