Warum trägt TIM-21, ein harmloser Robot, der wie ein kleiner Junge aussieht und der auch gebaut wurde, um als mechanischer Spielkamerad für Kinder zu dienen, den gleichen Code in sich, wie gigantische Vernichtungs-Maschinen, die vor zehn Jahren die neun Welten des United Galactic Council (UGC) verwüsteten, dabei Milliarden töteten und dann spurlos verschwanden? Diese Kernfrage wird im abschließenden Band von Jeff Lemires und Dustin Nguyens Science Fiction Epos gelöst, nicht aber ohne weitere Fragen aufzuwerfen. Dazu präsentieren uns die beiden „Descender“-Macher zuerst einen Rückblick: Ganze 4000 Jahre vor dem aktuellen Geschehen brach der Wissenschaftler Osris vom Planeten Ostrakon (heute Teil des UGC und ein Wüstenplanet) auf, fremde Welten zu erkunden. Dabei traf er auf die Descender, offenbar eine Roboter-Rasse, die auf einer hochtechnisierten Welt lebten, auf der es keinerlei organisches Leben gab. Wieder zurück auf Ostrakon begann Osris, die Technologie der Descender zu kopieren und baute Roboter, die die Arbeit der Menschen übernehmen sollten. Ein verhängnisvoller Fehler, der fatale Folgen nach sich zog…
Der Finalband überrascht mit diesem ausführlichen Rückblick, der gleichsam radikal endet und ein Menetekel für den Ausgang der Geschichte und damit der Serie darstellt. Dabei wirft Lemire eine interessante Frage auf: Was wenn es im Universum „mechanisches“ Leben VOR dem organischen gab? Was uns zurück in die Gegenwart wirft: dort, auf dem Wasserplaneten Mata, haben Telsa, TIM-21 und Quon den Wissenschaftler Dr. Solomon ausfindig gemacht, der ein wichtiges Relikt aus der Zeit, in der der Rückblick spielt, bei sich hat. Jetzt wird auch klar, warum vor zehn Jahren die tödlichen Harvester auftauchten und warum gerade jetzt nichts Geringeres als das Schicksal des Universums auf dem Spiel steht. So groß und so weit denken freilich die Fraktionen nicht, die gerade miteinander Krieg führen: Die Menschen, die sich zur Verteidigung inzwischen einen eigenen Harvester gebaut haben, Hardwire, der Robot-Widerstand, der den Robocaust rächen will und die Gnishianer, die unter ihrem fanatischen König nach Macht streben.
So vereinen sich auch im letzten Band der Reihe die ganz kleinen und die ganz großen Schicksale. TIM-21, zwar Robot, dennoch auch ein kleiner Junge, will nur seinen (inzwischen freilich erwachsenen) „Bruder“ Andy wiedersehen, trägt aber die Macht in sich, das Universum zu retten. Telsa, die Soldatin, muss sich entscheiden zwischen militärischen Befehlen (ihres Vaters) und ihrem eigenen Gewissen: soll sie TIM-21 ausliefern, damit der UGC-Harvester aktiviert werden kann, oder hört sie auf ihr Gewissen und hilft dem Roboter-Buben? Die Konfliktparteien, die den Krieg ausfechten, verfolgen dabei stur ihre Ziele, wobei alle Akteure (auch die mechanischen, wie Bohrer oder Bandit) der vergangenen Bände vereint werden und jeder von Jeff Lemire eine wichtige Rolle zugedacht bekommt. Und am Ende, das gewaltig und episch ist und das wir jetzt natürlich nicht preisgeben möchten, steht ein neuer Anfang.
Denn Lemire und Nguyen planen eine Folgeserie mit Namen „Ascender“. Die setzt wieder zehn Jahre später ein und verspricht offenbar ein magisches Erlebnis zu werden. Nach Science Fiction jetzt Fantasy? Vorerst ein letztes Mal weiß auch Zeichner Dustin Nguyen mit seinem zarten und federleichten Aquarell-Stil zu begeistern. Bilder wie der doppelseitige Auftritt des Harvesters im einleitenden Rückblick, in dem sich im All der riesige Roboter majestätisch aus farbenprächtigen Aquarellschwaden herausschält, bleiben nachhaltig hängen. „Ascender“ startet übrigens in den USA bei Image Comics im April dieses Jahres. Es wird also noch etwas dauern, bis die Leser hierzulande in den Genuss des Sequels kommen. (bw)
Descender, Band 6: Der Maschinenkrieg
Text: Jeff Lemire
Bilder: Dustin Nguyen
160 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22,80 Euro
ISBN: 978-3-96219-116-0