Bergen Memorial War Museum: die junge Jane Foster wird unversehens zur Abteilungsleiterin für nordische Mythologie, als ein Wüterich scheinbar ziellos auf eine Urne losgeht. Der Kollege spricht offenbar kein Englisch und lässt sich von Jane gerade noch beruhigen. Auf dem Nachhauseweg wird Jane einige Tage später dann Zeugin, wie der vermeintliche Penner einer Holden zu Hilfe eilt, die der hünenhafte Mr. Hyde bedrängt. Durchaus angetan lässt sich Jane überreden, nochmals ins Museum zurückzukehren. Dort zerdeppert der seltsam gekleidete Langhaarige die Urne, die er als Urne Odins bezeichnet, und entnimmt ihr einen mächtigen Hammer, der ihn in großem Blitz-Brimborium nochmals strahlender erscheinen lässt.
Niemand anderes als Thor Odinson hat Jane vor sich – aber als Thor per Hammerwurf nach Hause nach Asgard will, prallt er kläglich ab. Offenbar gab es ein Zerwürfnis mit Papa Odin, der ihn auf die Erde verbannt hat, um Demut zu lernen – aber Thor kann sich beim besten Willen nicht erinnern, was er denn ausgefressen hat. Nach einem weiteren Scharmützel mit dem grimmen Hyde, der den Forscher Lew Stephens umbringt, dann mit dessen Wachstumsformel auf Jane losgeht und wieder von Thor niedergeschmettert wird, bietet Jane dem heimatlosen Asen an, erst mal bei ihr unterzukommen – auf der Couch, wohlgemerkt. Alsbald macht man Bekanntschaft mit weiteren heldenhaften Wesen: Henry Pym und seine Weggefährtin Janet van Dyne kommen nach Bergen, um im Mord von Pyms altem Mentor Stephens zu ermitteln. Thor, dem der alte Ränkespieler Loki diverse Streiche spielt, hält den als Giant Man auftretenden Pym für einen der erschröcklichen Frostriesen, bevor sich die Sache gütlich klärt.
Kaum wieder im trauten Heim, öffnet die erstaunte Jane die Türe für drei wunderliche gekleidete Gesellen, die Thor entzückt als seine alten Kumpane Volstagg, Fandral und Hogun vorstellt. Die Jungs machen sich mitsamt Donnerwagen auf eine ordentliche Männertour, bei der man auf Captain Britain trifft, eine zünftige Kneipenschlägerei inszeniert und sich danach in bester Asen-Manier verträgt – aber auch die alten Weggefährten dürfen Thor nicht verraten, weshalb er in Ungnade gefallen ist, sondern mahnen nur zu mehr Demut und Bescheidenheit. Genau das richtige für den Donnergott, der auf einer Rundreise durch die Welt mit Jane beim Great Barrier Reef auf den Submariner trifft, der sich bemüht, einen durch Ölausbeutung vertriebenen Monstro zu besänftigen.
Auch Namor bestätigt Thor, dass ihm ein wenig mehr Demut gut zu Gesicht stehe und ihm Jane dabei eine formidable Lehrerin sein kann. Weiterhin sucht Thor allerdings unablässig die Regenbogenbrücke, die er tatsächlich findet, beim Betreten allerdings auf Heimdall trifft, der ihn zu seiner großen Überraschung ebenfalls im Auftrag Odins davon abhält, in Richtung Asgard weiterzugehen. Wieder auf der Erde, darf Thor sich mit der geballten Industriekraft des Krask-Konglomerats auseinandersetzen, das einen K-Bot auf ihn ansetzt – aber da wäre da noch ein Großindustrieller namens Tony Stark, der ebenfalls in Rüstung dagegenhält…
Schon einige Lenze hat diese Serie auf dem gebeugten Rücken, genauer gesagt mittlerweile 13 Jahre: 2010 erschien dieses Reboot der Thor-Origin, mit der man sich seinerzeit schon einmal ins noch jugendliche Marvel Cinematic Universe einreihen wollte. Aber offenkundig traf man irgendwie nicht den Zeitgeist: nach nur 10 Ausgaben wurde die Reihe schon wieder eingestellt, die damit in diesem Band vollständig versammelt ist. Mehr als schade, denn was das Kreativgespann Roger Langridge und Chris Samnee sich da einfallen ließ, war nichts anderes als ein höchst kreative Variation der Story, die uns in den 70ern in den seligen Taschenbüchern aus dem Condor-Verlag entgegentrat. In diesem sofort zerfallenden Büchlein „Die Rächer, Band 1“ verfolgten wir atemlos, wie ein gehbehinderter Arzt namens Dr. Don Blake in einer Höhle einen Stock findet, den er auf den Boden hämmert – und plötzlich als strahlender Ase erscheint, der auf der Erde im Exil ist.
Dieses klassische Marvel-Motiv des im Zivilleben geschwächten Helden (Spider-Man, Daredevil und Iron Man lassen grüßen), das Stan Lee und Jack Kirby 1962 in Journey into Mystery ausbreiteten, münzt der Neuseeländer Roger Langridge um: Thors Alter Ego Don Blake existiert nicht, Thor kommt bei Jane Foster unter (zu der sich natürlich zarte Bande entwickeln) und hat selbst nicht die leiseste Ahnung, was er denn angestellt hat. Dass dahinter nicht Odin oder Loki, sondern der fiese Industrielle Krask steckt, wird angedeutet, aber nicht mehr ausgeführt – zu früh wurde der Serie der Garaus gemacht. Voller Charme sind dabei die ersten Begegnungen mit den späteren Rächer-Kollegen Ant Man, Wasp, Iron Man und Captain America, wie auch Namor sich die Ehre gibt. Auch die Asen-Gallerie mit Thors Trink- und Raufkumpanen, dem trickreichen Loki und dem aufrechten Heimdall wird elegant-augenzwinkernd eingeführt.
Dazu gestreut sind spaßige Querverweise wie etwa ein furchtsamer Laborassistent namens Dr. Meeker (bei dem wir natürlich sofort an den MiMiMi-machenden Beaker denken, zumal Langridge auch Muppets Comics schrieb und zeichnete) oder Bücher über nordische Mythologie, die Thor als nicht ganz zutreffend erkennt – wobei sich die Ikonographie sehr eng an die Zeichnungen eines Jack Kirby, der die Figur zuerst inszenierte, anlehnt. Auch insgesamt ist eine sehr wohlige optische Gestaltung durch Chris Samnee zu bestaunen, die weit weg von aller Knalligkeit vor allem die coming of age-Elemente betont. Der vorliegende Band, der auch als limitierte Variant-Cover-Edition (siehe links) erhältlich ist, enthält die Original-Hefte Thor: The Mighty Avenger 1-8 von 2010 sowie eine Ergänzung aus dem damaligen Free Comic Book Day. (hb)
Thor: Der mächtige Rächer
Text & Story: Roger Langridge
Bilder: Chris Samnee
220 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
29 Euro
ISBN: 978-3-7416-3191-7