Immer in Bewegung bleiben. Das ist gleichermaßen die Devise und die Lebensversicherung von Joe. Denn Joe ist ein Mann mit Vergangenheit. Als ehemaliger New Yorker Gangster, der die Omerta, die Schweigepflicht der Mafia, gebrochen hat, ist er im neu eingerichteten und noch umstrittenen Zeugenschutzprogramm. Doch wurde er unter seinem neuen Namen nicht sesshaft, er hat sich lieber für ein modernes Nomadenleben entschieden. Mit seinem Wohnmobil bereist er die spektakulären Landschaften zwischen Arizona, Utah und Nevada, wie das Monument Valley oder den Grand Canyon. Immer in Bewegung, nie lange an einem Ort verbleibend, um von seinen Feinden nicht aufgespürt zu werden.
Joe, der früher Giuseppe Barella hieß, ist nicht mehr der Jüngste (wir schreiben 1970 – Joe hat bereits in den Dreißiger Jahren seine „Karriere“ gestartet) hat sich aber an sein neues Leben, die ständigen Ortswechsel gewöhnt, ja genießt seine neue, vermeintlich gefahrlose Freiheit sogar. Doch dann ziehen noch einmal dunkle Wolken auf. Er muss ein letztes Mal vor Gericht gegen seine alten Kompagnons aussagen, wieder als Kronzeuge. Natürlich sucht man deshalb nach ihm. Und man erwartet ihn in New York, um seine Aussage zu verhindern und sich an ihm zu rächen. Doch auch Joe ist vorbereitet…
Autor Matz (u.a. „Der Killer“) und sein Zeichner Philippe Xavier (beide verantworten auch die Thrillerserie „Tango“, die in inzwischen sechs Bänden ebenfalls bei Splitter erscheint) zelebrieren in diesem abgeschlossenen Einzelband die spektakulären Weiten des amerikanischen Westens. Schon der Einstieg in die Story gelingt standesgemäß: über mehrere Seiten, ganz ohne Worte, beeindrucken in breiten, großzügigen Cinemascope-Panels und von Kolorist Jérôme Maffre in dezentes Abendlicht getaucht die Landschaften des John Ford Country, bis wir erstmals auf Joe treffen, der gerade einen kleinen, offenbar zahmen Kojoten adoptiert.
Joes Vergangenheit ist, wie wir in den Rückblenden lernen, unrühmlich: Von Jugend an geriet er als Giuseppe in New York auf die schiefe Bahn. Gemeinsam mit seinen beiden Kumpels machte er über die Jahre mit dem Schmuggel von Rauschgift ein Vermögen, bis die Partnerschaft schließlich nach Jahrzehnten dramatisch zerbrach – Parallelen zu Sergio Leones Gangsterepos „Es war einmal in Amerika“ sind hier nicht zu leugnen, inklusive des ikonischen Bildmotivs mit der Manhattan Bridge. Was bleibt Joe nun noch in seinem neuen, letzten Leben? Eine Tochter, von der er sich entfremdet hat. Eine verbliebene Freundin aus alten Zeiten und der kleine Kojotenmischling als Sidekick, dem Joe als Running Gag ständig neue Namen anbietet, nur um diese sofort wieder zu verwerfen.
Matz und Xavier präsentieren hier gekonnt eine Verbindung, bzw. Melange aus klassischem Gangster-Genre (die Rückblenden, die in Schwarz-Weiß gehalten sind), Roadtrip aus der Easy Rider-Ära und Western- bzw. Thriller-Elementen (Joe, der einsame Held, erweist sich trotz seines Alters als durchaus wehrhaft und clever und die Kapitel sind nach bekannten Western-Filmen benannt). Beeindruckend inszeniert von Xavier in seinem typischen, leicht unterkühlten, realistischen klaren Zeichenstil, der an den von William Vance erinnert (wobei Joes Freundin tatsächlich den gleichen Namen trägt wie eine Hauptfigur aus Vances „XIII“ und auch optisch an diese erinnert). Ein visuelles Highlight neben der spektakulären Landschaft ist die wilde Klopperei im Tiergeschäft und auch bei dem angenehm unprätentiösen Showdown in New York halten Matz und Xavier die Story-Zügel fest und schlüssig in der Hand. (bw)
Die Schlange und der Kojote
Text & Story: Matz
Bilder: Philippe Xavier, Jérôme Maffre (Farben)
144 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
29,80 Euro
ISBN: 978-3-98721-129-4