Massiver Band, voluminös – wir sortieren das gerne ein unter dem Schlagwort Anthologie: in der Reihe „Wonder Woman: Black And Gold“, die in den USA im August 2021 startete, finden sich pro Ausgabe fünf kurze Episoden, in denen sich Autoren und Zeichner ganz nach Herzenslust jenseits aller Kontinuität und stilistischer Vorgaben austoben können. Schlaglichthaft tritt dabei manchmal die Psychologie, manchmal aktuelle Themen, bislang auch ein kleiner Griff in die Historie der Figur in den Vordergrund, wobei es stets einen kleinen aha-Effekt oder eine durchaus erfrischenden Blick auf den Charakter wirft, den William Moulton Marston 1941 erstmals, ähem, ent-fesselte. Für einen Geschmack ein paar Schlaglichter:
„Tochter ihrer Mutter“: Beziehungen sind manchmal schwierig, nicht zuletzt wenn Frau Mutter die Amazonenkönigin Hippolyta selbst ist, der es nie so richtig recht war, dass Töchterchen Diana sich in die Welt der schnöden Männer gewagt hat. Dennoch findet sich Diana dazu ein, die kranke Mutter zu pflegen, wobei sie selbst immer schwächer wird – was dann die Zauberin Magala dahingehend erklärt, dass weder zu lange Trennung noch zu langes Zusammenhängen gut für das Verhältnis ist. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. „Alterslos“: Die gute Diana kämpft im zweiten Weltkrieg, muss aber die leidvolle Erfahrung machen, dass auch sie nicht alle Opfer verhindern kann. Das wirft ihr dann in den 70er Jahren ein erboster Batman auf dem Satellit der Gerechtigkeitsliga vor: Menschen seien doch nur die Eintagsfliegen für die unsterbliche Amazone. Die allerdings weist das weit von sich: genau deshalb sei ihr jeder einzelne Sterbliche so wertvoll – wie sich an Beispielen zeigt, denen sie im Krieg eben doch helfen konnte.
In „Das goldene Zeitalter“ kämpft Diana – gemäß dem Titel – Seite an Seite mit ihrer Weggefährtin aus den klassischen Tagen Etta Candy (standesgemäß erst mal gefesselt), in „Die Wette“ erfahren wir, dass das berühmte Lasso der Wahrheit aus einem Wollfaden des Goldenen Vlies‘ besteht (der Joppe, die sich schon Jason gemeinsam mit seinen Arroganten im Reiche Kolchis unter den Nagel riss) und von einem wütenden Stier bewacht wurde, in „Alte Bekannte“ entpuppt sich der von Circe verzauberte Odysseus als Stellvertreter für Wonder Womans on/off-Love-Interest Superman (ist immerhin auch ein „eingebildeter Muskelprotz“, so Circe), bevor dann in „Wir schufen eine bessere Welt“ endlich auch original-Origin-Menschlein Steve Trevor zu Ehren kommt, der Diana ursprünglich von der Paradiesinsel zu locken vermochte. „Gegen die Hitze“ setzt dann ein lautstarkes Zeichen in Richtung Nachhaltigkeit: als die Erde aus dem Orbit rutscht und der Sonne gefährlich nahe kommt, macht Diana erst einmal den Sonnengott Apollo verantwortlich. Der genießt zwar sichtliche die sommerlichen Temperaturen, hilft aber letztendlich dabei, die Dinge einstweilen wieder ins Lot zu bringen – der größte Hitzetreiber, so stellt er lakonisch fest, seien allerdings immer noch die Menschen selbst.
So gestaltet sich in den hier versammelten 30 Kurzgeschichten ein großer Reigen von klassischen Motiven, vom Lasso der Wahrheit (zweifelsohne inspiriert von Marstons nur teilweise funktionierender Erfindung des Lügendetektors) über Wonder Womans Kriegseinsätze und den legendären unsichtbaren Jet bis hin zur Teilhabe der Gerechtigkeitsliga, die in ihrem Satellit über der Erde schwebt. Dabei liefern Künstler vom Schlage Kurt Busiek, Rachel Smythe, Sanya Anwar, Trung Le Nguyen und Kevin Maguire Beiträge, die jeweils im ganz eigenen Duktus gehalten sind, verbunden von der durchgängigen Farbsymbolik Schwarz / Gold, in der entscheidende Personen und Gegenstände (Dianas Armreifen, die Tiara, natürlich das Lasso) in strahlend güldener Gestaltung erscheinen. So reiht sich die Anthologie in die jüngst populären „Farbenspiele“ ein („Harley Quinn: Schwarz Weiß Rot“, „Superman: Rot und Blau“, „Batman: Schwarz und Weiß“ – vielleicht kommen demnächst mal die Schlümpfe mit „Himmelblau“?) und macht in jedem Fall Laune darauf, noch weitere Beiträge zu erleben. (hb)
Wonder Woman: Schwarz und Gold
Text: Kurt Busiek, Mariko Tamaki, Nnedi Okorafor, Peter Tomasi u.a.
Bilder: Colleen Doran, Nicola Scott, Tillie Walden, Liam Sharp u.a.
276 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
29 Euro
ISBN: 978-3-7416-2735-4