Kann er’s denn noch? Nach dem verheerenden Ausgang der letzten Mission auf Madagaskar (Band 9: „Alles oder nichts für Alak 6“) stellt sich Oberst L diese Frage und diskutiert mit dem Kaiman Gaucho Morales, ob sein Musteragent Bruno Brazil überhaupt noch diensttauglich ist. Erkenntnisse hierüber erhoffen sich die beiden in der Vergangenheit Brazils, weshalb sie ein Dossier aus alten Akten zu noch älteren Fällen studieren, als Brazil noch kein Kommando Kaiman führte, als Solo-Agent unterwegs war und sich dabei höchst effizient und erfolgreich erwies. So bewährte er sich bei der Jagd nach einem Mikrofilm, klärte eine Anschlagsserie auf, enttarnte einen skrupellosen Doppelagenten, läuterte einen Gentleman-Gangster und musste mit Puppen „spielen“. Und zeigt am Ende eindrucksvoll – kein Geheimnis – dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört…
Das „Dossier Bruno Brazil“ ist ein Serien-Nachschlag, in dem Autor Michel Régnier, besser bekannt als Greg (der die Reihe unter dem Pseudonym Louis Albert schrieb) und Zeichner William Vance (u.a. „XIII“, „Bruce J. Hawker“) vier alte Kurzgeschichten aus der Anfangszeit der Reihe entmotten und in eine neue Rahmenhandlung einbetten, die direkt nach dem tödlichen Fiasko um das Kommando Kaiman angesiedelt ist. Die einzelnen Episoden erschienen im Original erstmals 1967 im Tintin Magazin, vor dem ersten albumlangen Brazil-Abenteuer („Der Hai, der zweimal starb“). Die Deutsche Dossier-Premiere erfolgte 1991 im Carlsen Verlag. Später, 2014, enthielt der dritte und letzte Band der Egmont Gesamtausgabe das Dossier. Kurios: Die Rahmenhandlung als eigene Story erschien 1977 bereits im Koralle-Zack noch vor dem eigentlichen Band 9 und damit vor der einschneidenden und schmerzlichen (für Brazil wie auch für den Leser) Dezimierung des Kommando Kaiman.
Die fünf Kurzgeschichten und deren Auflösungen pendeln zwischen Originalität und agenten-spezifischen Albernheiten (Stichwort Zuckerglas). Manche Tech-Gimmicks und Motive erinnern an James Bond und Konsorten, wie der Multifunktions-Regenschirm oder Oberst L (der in früheren Ausgaben noch Colonel war). Dann zeigt Brazil auf seine nonchalante Art detektivische Fähigkeiten und Cleverness und geht keiner Keilerei aus dem Weg, wobei er stets die Oberhand behält. Es ist ein durchaus aufregendes Agentendasein, das er führt – allzeit zum Job bereit -, von seinem Privatleben erfahren wir dagegen nichts. Hier bringen die Mitglieder und unterschiedlichsten Charaktere des Kommando Kaiman (darunter Billy, Bruno Brazils jüngerer Bruder) später einiges an Tiefe und Abwechslung in die Geschichten.
Interessant auch, wie sich der Zeichenstil des Belgiers William Vance binnen der zehn Jahre entwickelte (in dieser Zeit zeichnete er auch u.a. „Bob Morane“), was sich hier sehr gut vergleichen lässt. Während der Strich in den 60er Jahre Episoden noch strenger angelegt ist, inkl. schlanker Figuren und Gesichter (vgl. auch „Howard Flynn“), wirkt sein Stil in der Rahmenhandlung prägender und individueller, unverkennbarer (inkl. breiter 70er Jahre-Krawatten). Der Sekundärpart – wie immer äußerst informativ – befasst sich einmal mehr mit dem Autor Greg (dessen „realistische“ (Zack-)Serien, wie „Andy Morgan“, „Luc Orient“ oder „Comanche“ hierzulande bekannter sind als seine Funnys). Interessant: Greg wollte eigentlich seinen Bruno Brazil an den aufstrebenden Autor Jean van Hamme abgeben. Daraus wurde zwar nichts, stattdessen schufen van Hamme und Vance die neue Hit-Serie „XIII“. Doch das ist eine andere Geschichte… (bw)
Bruno Brazil, Band 10: Dossier Bruno Brazil
Text: Louis Albert
Bilder: William Vance
64 Seiten in Farbe, Hardcover
All Verlag
15,80 Euro
ISBN: 978-3-96804-084-4