Der Mann, der Chris Kyle erschoss (Carlsen)

August 3, 2021
Der Mann, der Chris Kyle erschoss (Carlsen Verlag)

„American Sniper“, Clint Eastwoods erfolgreichster Film, mag vielen ein Begriff sein. Der Held des Streifens heißt Chris Kyle. Der Texaner Kyle ist der erfolgreichste Scharfschütze in der amerikanischen Militärgeschichte: 160 bestätigte „Abschüsse“, dazu noch 95 inoffizielle. Insgesamt tötete Kyle im Irak-Krieg damit wohl 255 Menschen. Man nannte ihn „die Legende“, auf gegnerischer Seite wurde ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Am Schluss von Eastwoods Film wird das tragische Ende Kyles nur kurz angerissen, gefolgt von realen Szenen der Beerdigung. Die aktuelle Zusammenarbeit von Autor Fabien Nury (u.a. „Death of Stalin“, „Silas Corey“, „Katanga“) und Zeichner Brüno, die gemeinsam auch die Noir-Serie „Tyler Cross“ auf die Beine stellen, beleuchtet nun auch den Mord an Kyle und v.a. den Mörder des amerikanischen Helden, Eddie Ray Routh, der später zu einer lebenslangen Haft ohne Chance auf vorzeitige Entlassung verurteilt wurde.

Doch bis Routh die Szenerie betritt, dauert es einen Moment. Zuerst widmen sich Nury und Brüno dem Scharfschützen Kyle, schildern seinen Werdegang, seine „Karriere“ – nach seiner Zeit im Irak. Als Bestsellerautor, als Firmengründer und als Familienvater, der private Krisen überwindet. Und einen skurrilen Twist mit dem Ex-Schauspieler („Predator“) und ehemaligen Gouverneur von Minnesota, Jesse Ventura, der im Band immer wieder zur Sprache kommt. Im zweiten Kapitel dann kommt der Mörder ins Spiel. Eddie Ray Routh diente wie Chris Kyle bei den Marines, doch verlief sein Weg dort ganz anders. Während Kyle seine Taten und Auszeichnungen in bare Münze umzuwandeln vermochte, nahm Routh im Irak nie an Kampfhandlungen teil. Später, in Haiti, musste er nach dem vernichtenden Erdbeben Leichen bergen. Wahrlich keine strahlende „Karriere“. Nach seinem Militärdienst verlor Routh mehr und mehr den Boden unter den Füßen, wurde auffällig, betäubte sich mit Drogen und Alkohol. Doch immer blieb Chris Kyle dabei sein Idol.

Nury und Brüno gehen bei ihren Schilderungen und Darstellungen äußerst penibel vor. Dokumentarisch schildern sie die wichtigsten Episoden zwischen den Irak-Einsätzen Kyles und dem Mord. Ausschnitte aus TV-Auftritten in Talk Shows (die man teilweise auch auf Youtube nachsehen kann) werden über Seiten hinweg geschildert – die gleich großen, statisch, starr angeordneten Panels mit dem schematischen, klaren charakteristischen Zeichenstil Brünos unterstreichen dann noch die dokumentarische Note. Interessant auch: die Verfilmung, die 2014, ein Jahr nach dem Tod Kyles in die Kinos kam, wird thematisiert und am Ende geht der Fokus auf Kyles Witwe Taya. Es ist bezeichnend, dass der Film vor allem in den USA viel Geld einspielte, in anderen Teilen der Welt wurde er mitunter kontrovers diskutiert. Wie auch die „Karriere“ Kyles.

In seinem Buch bezeichnet er seine Gegner als „Wilde“, er behauptet nach dem Hurrikan Katrina 30 Plünderer in New Orleans erschossen zu haben. Und er will traumatisierten Veteranen helfen, indem er mit ihnen zu Schießständen fährt und sie ordentlich ballern lässt. Später tut es seine Witwe ihm gleich. Sie veranstaltet das „American Sniper Shootout“ und lässt sich – durchaus geschäftstüchtig – für Waffen-Werbespots einspannen. Im republikanischen Trump-Staat Texas ist „die Legende“ noch heute der amerikanische Held. So gibt es die Chris Kyle Memorial Plaza, den Chris Kyle Memorial Highway und der texanische Gouverneur erklärte den Todestag zum Chris-Kyle-Day. Eine Graphic Novel mit einer ungewöhnlichen Biografie, einem „Heldentum“, das in unseren Breiten durchaus Magenschmerzen hervorrufen mag. (bw)

Der Mann, der Chris Kyle erschoss
Text: Fabien Nury
Bilder: Brüno
164 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
24 Euro

ISBN: 978-3-551-78171-0

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