November 1918 in Paris. Der Erste Weltkrieg ist gerade vorüber. Das Land atmet auf. Ein tödlich verwundeter Detektiv namens Percochet stolpert in das Hotelzimmer von Silas Corey. Er stand in Diensten der Rüstungs-Milliardärin Celestine Zarkoff, die wir schon aus Band 1 kennen. Madame Zarkoff ist todkrank, ihre Tage sind gezählt. Höchste Zeit, sich um ihr Erbe zu kümmern. Und genau das sollte Percochet tun: ihren unehelichen Sohn suchen, einen deutschen Leutnant namens Johann Zichler. Nur leider ist der spurlos verschwunden. Nach einem Attentatsversuch auf Zarkoff, bei dem sein Diener/Sidekick Nam angeschossen wird, übernimmt Silas den Fall und reist als Soldat getarnt nach München, wo gerade die Räterepublik ausgerufen wurde und ein ziemliches Chaos herrscht. Und in genau diese politischen Wirren gerät Silas, als er Nina, die Ehefrau des verschwundenen Zichlers trifft und gemeinsam mit ihr weitere Nachforschungen anstellt. Dabei dämmert es Silas langsam, dass hinter seiner Mission viel mehr steckt, als nur die Suche nach dem Erbe. Denn Silas hat es mit mächtigen Gegnern zu tun, die weit mehr im Sinn haben, als das Zarkoff-Vermögen…
Spielte der erste Band noch während des Krieges, greift „Das Zarkoff-Testament“ nun als historischen Hintergrund auf ein kurzes wie kurioses Stück Deutscher Geschichte zurück: die Münchener Räterepublik, die im Frühjahr 1919 ausgerufen wurde und die nur wenige Monate Bestand hatte. Was zuerst anmutet wie ein typischer Agatha-Christie-Mörderplot – jeder der Geschäftspartner Zarkoffs, die sich Barone nennen, kann ein Motiv haben und für den Anschlag auf die verhasste alte Dame verantwortlich sein (an sich ein Kuriosum, sind ihre Tage doch sowieso gezählt) – mündet schnell in eine Undercover Mission Silas‘ (der perfekt Deutsch spricht) in München. Dabei bleibt Nam aufgrund seiner Verletzung außen vor (er würde auch „optisch“ nicht in die Mission passen), nur um am Ende wieder eine wichtige Rolle zu spielen. Silas lässt sich also einmal mehr ganz Söldner-like vor den Karren des Höchstbietenden spannen, auch wenn dieser in Gestalt der alten, eigentlich verhassten Zarkoff daherkommt. Was zu seinem Charakter passt, der eine gelungene Mischung bietet aus elegantem Dandy mit James-Bond-Genen, der auch gerne dem Laster (und dem Zaster) zugeneigt ist und keiner Konfrontation aus dem Weg geht, und detektivischer, beinahe seherischer Kombinationsgabe à la Sherlock Holmes, die immer wieder zum Einsatz kommt und so auch dem Leser Zusammenhänge klar macht.
Wie auch schon in Band 1 konstruiert Autor Fabien Nury immer mehr Tiefe in die Handlung hinein, sodass nach und nach mehr Details der wahren Hintergründe des Verschwindens Johann Zichlers offenbart werden. Ein mächtiger Gegner, dessen Existenz ebenfalls historisch verbürgt ist, tritt immer mehr ins Licht – wir wollen hier nicht zu viel verraten, sonst wird die Richtung klar, in die die Handlung geht – und kann offenbar mühelos den Polizeiapparat Münchens kontrollieren, um ihn für seine perfiden Ziele einzusetzen. Am Ende bleibt ein grübelnder Silas zurück, der den Vorboten einer Zukunft begegnete, über die sich ein düsterer Schatten legen wird. Nury betreibt auch Figurenpflege. Nicht nur Madame Zarkoff kennen wir bereits aus dem Erstling. Mit von der Partie ist auch wieder Marthe Richer, Silas‘ unerfüllte Liebe, die für den französischen Auslandsnachrichtendienst arbeitet, welcher dadurch auch ein Auge auf die Geschehnisse wirft. Und Nam liefert sich im ersten Teil des Double-Bandes, der beide Alben des Zyklus‘ umfasst, wieder amüsante, pointierte Wortgefechte mit seinem „Chef“ Silas. Zeichner Pierre Alary (SinBad, Belladonna, Moby Dick) beeindruckt erneut mit Bildern, die weniger durch Details als durch ihren kraftvollen, dynamischen Strich und durch die damit gewonnene dichte Atmosphäre (woran auch die stimmige Farbgebung von Bruno Garcia einen gehörigen Anteil hat) ein echtes Pfund sind. Wovon auch die regelmäßig furios in Szene gesetzten Action-Sequenzen profitieren (etwa der Showdown im verschneiten Wald). Wieder ein äußerst gelungener Band, höchst unterhaltsam, mit intelligenter Story und einem charismatischen Helden. (bw)
Silas Corey, Band 2: Das Zarkoff-Testament
Text: Fabien Nury
Bilder: Pierre Alary
128 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Verlag
24,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-258-8