Eigentlich klang der Auftrag doch ganz harmlos. James Bond machte in Helsinki auf die ihm eigene, durchaus rücksichtslose Art diverse Lumpensöhne darauf aufmerksam, dass es eine ganz schlechte Idee war, seinen Kollegen 008 zu töten. Sprich, er machte ziemlich radikalen kurzen Prozess mit ihnen. Zurück bei MI-6, informiert ihn Chef M darüber, dass er nun keineswegs entspannte Ferien genießen, sondern den Job beenden darf, den 008 angefangen hat: nämlich einen Drogenring zu sprengen, der offenbar aus Berlin heraus neuartiges, durchaus boshaftes und chemisch seltsam anmutendes Kokain nach England schmuggelt. Schon der Empfang in der Bundeshauptstadt gestaltet sich explosiv: die vermeintliche Kollegin, die sich als Dharma Reach vorstellt, entpuppt sich schnell als gnadenlose Gegenspielerin, die mit seltsam kräftigen Händen versucht, Bond umzubringen. Der kommt knapp mit dem Leben davon und macht sich auf, seinen Verbindungsmann aufzusuchen: einen gewissen Slaven Kurjak, ein gefeierter Biologe, der bereit ist, die Drogenbarone zu verraten, wenn man ihm im Gegenzug großzügig die Genehmigung für den Import nicht ganz legaler Grundstoffe für seine Experimente erteilt. Soweit die Geschichte, die man 007 auftischt – aber spätestens nachdem das lokale MI-6-Büro komplett vernichtet und seine zwei Insassen getötet werden, beschleicht Bond die Gewissheit, dass hier etwas ganz massiv nicht stimmt.
Womit er auch goldrichtig liegt: Kurjak lockt Bond in eine Falle und schickt ihn keineswegs zu den gesuchten Dealern, sondern geradewegs in ein Versteck der Al-Zein, einer äußerst gewalttätigen Verbrecherbande. Sehr zum Ärger von Kurjak überlebt Bond allerdings auch diesen Hinterhalt, woraufhin Kurjak sein Faktotum Masters beauftragt, 007 zu töten, was ebenso misslingt: Masters, der offenbar biologisch verändert wurde und keinerlei Freude mehr empfinden kann, stirbt jämmerlich, als Bond ihm ein Glückshormon injiziert. Kurjak nimmt die Dinge selbst in die Hand und trachtet Bond nach dem Leben, wobei er in bester Superschurken-Manier seine Pläne ausplaudert: als ehemaliger Insasse eines Konzentrationslagers in Serbien habe er eine geschlossene Laborsituation kennengelernt, in denen ungestört Experimente an Menschen durchgeführt werden konnten. Das möchte er nun selbst für seinen größten Wurf wiederholen: ein von ihm entwickeltes Krebsheilmittel, das auf Genmanipulation beruht, brachte die Probanden immer äußerst unsanft ins Jenseits. Was wäre also geeigneter für einen ausgedehnten Feldtest als das Inselreich Großbritannien – zu dem die Substanz zu diesem Zweck längst unterwegs ist? Bond gelingt die Flucht, aber dann kommt es doch zum großen Showdown mit Kurjak und der sadistischen Frau Reach…
James Bond-Romane gibt es auch jenseits von den Originalwerken von Ian Fleming, die mit den Filmen im Übrigen oft nicht mehr gemein haben als den Titel und einige Motive, spätestens seit den 80er Jahren mit wachsendem Erfolg. Comicfassungen seiner Abenteuer erschienen ebenfalls schon bald nach dem Leinwand-Debüt in den 60ern, wobei es sich hierbei noch um Adaptionen der erfolgreichen Kinofilme handelte. Anfang der 90er erblickte dann nach Fassungen von „For Your Eyes Only“, „Never Say Never Again“ und „Licence To Kill“ mit Mike Grells „Permission To Die“ erstmals auch eine eigens konzipierte Story das Licht der Comicseiten, wie dies in den 90ern in Form einer Miniserie bei Dark Horse auch der Fall war. Ganz aktuell nun legt der Dynamite-Verlag seine Vision des Bond-Mythos vor: eine Timeline ist dem jungen Bond vor der Geschehnissen des Casino Royale-Romans gewidmet, andere Stories ranken sich um den aktuellen 007 und stehen unabhängig von den Handlungsbögen der Filmserie, in denen der inhaltlich zusammenhängende Zyklus um Daniel Craig mit „Spectre“ einen Abschluss gefunden zu haben scheint. Mit Warren Ellis geht dabei ein Autor an den Start, der sich durch seine doppelbödigen, teilweise das Genre parodierenden Epen wie „Transmetropolitan“ einen Namen gemacht hat und auch das Superhelden-Metier mit seinen Beiträgen zu Iron Man und Thor bereichert.
Ellis schildert Bond als nahezu vollständig rücksichtslose, federleicht tötende Waffe, die durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist, dabei auf die Falten in seinem Anzug achtet und mindestens ebenso rabiat vorgeht wie seine Gegner. Meilenweit weg vom kalauernden Gentleman Roger Moore, durchbricht er nahezu jedes Bond-Klischee und entwirft noch konsequenter als Daniel Craigs Interpretation der Figur das Bild eines beinahe psychopathologischen Schlachtrosses aus vergangenen Zeiten. Bond trinkt Bourbon statt Vodka-Martini, der Quartiermeister erinnert deutlich an John Cleese in den letzten Pierce Brosnan-Ausflügen, Bonds Boss beim MI-6 ist weder Judi Dench noch Ralph Fiennes, sondern ein Mann mit dunkler Hautfarbe – auch optisch setzt sich diese Version von den übermächtigen Filmvorbildern ab und versucht dankenswerterweise gar nicht erst, Kopien der Leinwandhelden zu schaffen. Inhaltlich findet sich dabei ein Motiv, das weniger für Bond als für Warren Ellis charakteristisch ist: die Idee des biologisch aufgewerteten Menschen, der biochemischen Manipulation des Lebens, das durchzieht Ellis‘ Schaffen und spielt z.B. in „Iron Man: Extremis“ oder auch dem „Moon Knight“-Reboot eine zentrale Rolle (vgl. auch die geniale SF-Mär „Ocean“).
Filmisch ist dagegen schon eher ist die erzählerische Struktur, die in klassischer Bond-Manier nach einer kurzen Vorsequenz (quasi vor den „Credits“, wie wir das ja aus dem Kino kennen) wie eine Schnitzeljagd von Schauplatz zu Schauplatz hetzt und dabei ein Set Piece nach dem anderen produziert. Fast wie ein Storyboard kommt dann auch die zeichnerische Umsetzung von John Masters daher – explosive, explizite, bisweilen Details herausgreifende Panels, die vor allem in den Actionsequenzen seitenweise ohne Text auskommen und so die Dynamik des Geschehens rasant begleiten. Eine schmissige Story, atemlose Geschwindigkeit, Action nicht gerade für sanfte Gemüter und ein Bond, der genauso fies, rabiat und sexistisch ist, wie er in seiner ursprünglichen Inkarnation war – so holen Ellis und Masters die Figur gekonnt ins Hier und Heute und kreieren ihre ganz eigene, kongeniale Interpretation. Der vorliegende, sehr schön aufgemachte Sammelband bringt die komplette Miniserie „James Bond: VARGR“ aus dem Jahr 2016, komplett mit einer Cover-Galerie der Titelbilder, die unter anderem von Dom Reardon und Stephen Mooney gestaltet wurden. Und Splitter setzt noch einen drauf: alternativ ist eine limitierte Edition des Bandes erhältlich, mit alternativem Cover Bonus-Material und limitiert auf genau 1007 Exemplare. Logisch. (hb)
James Bond 007, Band 1: VARGR
Text: Warren Ellis
Bilder: Jason Masters
144/176 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
19,80 Euro (reguläre Edition)
34,80 Euro (limitierte Edition)
ISBN: 978-3-95839-396-7 (reguläre Edition)
ISBN: 978-3-95839-399-8 (limitierte Edition)