Zombieattacke. Und zwar weltweit. Rasend schnell breitet sich die Plage aus, der ganze Globus wird befallen und alsbald von schlurfenden, fleischfressenden Untoten durchwandert. Das gewohnte Fähnlein aufrechter Widerständler versteckt sich allerdings nicht irgendwo in einem Kaufhaus, auf einer einsamen Insel oder auf einem Hochhaus-Dach – nein, Autor Benjamin Percy wählt hier einen anderen Blickwinkel, der komplett frischen Wind ins eigentlich sattsam bekannte Gerne bringt. In mehreren parallelen Handlungssträngen erleben wir nämlich, wie sich unterschiedlichste Charaktere mit dem Kroppzeug herumschlagen oder es auch einfach nur lästig finden. Da ist zum Beispiel der „Prepper“ B.J. Hool, ein typischer Verschwörungstheoretiker, der „es schon immer gesagt hat“, deshalb einen Bunker nebst Vorräten sein Eigen nennt und so isoliert die Tage dahindämmert. Diese Ruhe endet, als plötzlich jemand seine CB-Funksprüche beantwortet: eine nach eigenem Bekunden hübsche Dame namens Anna bittet ihn, ihr zu helfen, was B.J. natürlich allzu gerne tut. Mit seinem massiv gepanzerten Gefährt namens Zombie Killer, einem umgebauten Wohnmobil, macht er sich auf den Weg, nur um mit einer durchaus enttäuschenden Entdeckung konfrontiert zu werden…
In Mexico City verdingt sich der Waisenjunge Daniel Martinez als Bote bei der Gang Los Locos, die seine Eltern ermordet haben. Inmitten der anbrandenden Zombie-Horden gehen die Verbrecher unverdrossen ihren „Geschäften“ nach, aber sie haben nicht damit gerechnet, dass der kleine Daniel nur auf Rache sinnt – und dazu kommen ihm die rabiaten Untoten gerade recht… In Kabul ist die junge Fatemah Sha mit einigen Gefährtinnen auf der Flucht vor dem Regime, das jedes Anzeichen von persönlicher Freiheit grausam ahndet. Als die Apokalypse hereinbricht, sucht Fatemah erst Schutz bei den amerikanischen Truppen – aber als auch diese überrannt werden, machen sich Fatemah und ihre Begleiterinnen auf in Richtung Wüste, wo sie in einen Hinterhalt geraten… Der Yakuza-Killer Saga Watanabe hat ein ganz eigenes Hühnchen zu rupfen. Sein Ausbilder und Auftraggeber Hideo Nakamura hat nämlich dafür gesorgt, dass Watanabes Geliebte Akari aus dem Weg geschafft wird. Mitten durch ein von Zombies verwüstetes Tokyo bahnt sich Watanabe daraufhin seinen Weg, beseelt nur von dem Gedanken, Rache an Nakamura zu üben – und wehe, ein Untoter steht ihm dabei im Weg…
In diesen atemlos parallel geführten Handlungssträngen führt Percy durchaus überraschende Variationen des gewohnten Zombie-Motivkatalogs vor. Das übliche, schon zigmal exerzierte Muster „Die Zivilisation bricht zusammen, es herrscht das Recht des Stärkeren, die Menschen sind grausamer als die Untoten“ ersetzt Percy durch kluge, perfide Einzelgeschichten. Für den Yakuza-Killer Watanabe, der einen letzten Auftrag erledigen und dann ein bürgerliches Leben anfangen wollte, ist die Zombie-Plage bestenfalls ein lästiges Hindernis auf seinem Weg zur Villa von Nakamura. Durch das Leben auf der Straße ist der kleine Daniel in Mexiko daran gewöhnt, unsichtbar zu sein und entgeht so auch den Augen der wandelnden Leichen, die er dann vollkommen furchtlos zu seinen Peinigern führt, die nicht wissen, was sie trifft. Zombies können also auch ganz hilfreich sein.
Der Power-Nerd B.J. Hool – Freundin Fehlanzeige, aber High Score in diversen Games – erlebt zuerst den Wunschtraum, dann die Nemesis eines jeden Geeks: in einer postapokalyptischen Mad Max-Welt ist er der Held, der die Prinzessin rettet – die sich dann allerdings (Spoiler-Alarm!) als durchaus männlicher, ebenbürtiger Meister des Nerd-Fachs inklusive Doctor Who-T-Shirt entpuppt. Durchaus politisch brisant, liefert die Episode um die junge Fatemah und ihre Freundinnen eine pointierte Darstellung diverser Frauenschicksale in einem Afghanistan, aus dem sich die internationalen Truppen langsam zurückziehen und die alten Herrscher ihr martialisch-repressives, menschen- und vor allem frauenverachtendes Regime wieder etablieren. Und im Handlungsstrang um die Polarforscherin Sara Lemons schließlich liefert Percy in bester „The Thing“-Manier eine Erklärung für die Untoten-Plage, die offenbar schon Millionen von Jahren auf der Erde lauert.
Diese Theorie ergänzt Percy durch diverse, auch optisch abgesetzte Zwischenepisoden: in den Aufzeichnungen von Leonardo da Vinci kommt das Phänomen der lebenden Toten ebenso zur Sprache wie in einer Schilderung der Pest von Giovanni Boccaccio (der mit dem Decamerone) – und auch die Auferstehung Christi erscheint in diesem Licht nochmals gänzlich anders. Jede Menge verstörend-faszinierende Ideen also, die von Ramon Rosanas wunderbar atmosphärisch umgesetzt werden, wobei jedem Charakter und jeder Episode ein eigenes Farbschema zugeordnet ist: die Welt der Polarexpedition ist blau, das Amerika von B.J. Hool eher braun, Afghanistan erscheint in blutiges Rot getaucht. Somit ein mehr als vielversprechender Serienauftakt, der bei Cross Cult um handlichen Hardcover mit einem Nachwort des Autors, einem Variantcover von Mike Deodato und einem Mini-Making Of erscheint. (hb)
Year Zero, Band 1
Text: Benjamin Percy
Bilder: Ramon Rosanas
144 Seiten, Hardcover
Cross Cult
22 Euro
ISBN: 978-3-96658-338-1