Schlange und Speer, Band 1 (Splitter)

Januar 22, 2021
Schlange und Speer, Band 1: Schatten-Berg (Splitter Verlag)

Tenochtitlan, prächtige Hauptstadt des Azteken-Reiches, Jahrzehnte vor der Ankunft der Spanier. Überall im Land tauchen mumifizierte Kinderleichen auf, allesamt von Mädchen. Offenbar kamen die Opfer grausam zu Tode. Um eine Unruhe bei der Bevölkerung zu vermeiden, will der verängstigte Vizekönig die Mordserie geheim halten und beauftragt den hochrangigen „Polizisten“ namens Schlange, die Sache aufzuklären. Der macht sich sofort an die Arbeit, sendet Kundschafter aus, um mehr Opfer aufzuspüren und geht bei seinen „Ermittlungen“ äußerst brutal und tödlich vor. Auch Cozatl, der Feuerpriester vom Tempel des Tlaloc, hat Interesse an der Aufklärung, weisen die Toten doch Ähnlichkeiten mit bestimmten Ritualen seines Ordens auf. Deshalb bittet Cozatl seinen Jugendfreund Augen-Speer eigene Nachforschungen anzustellen. Heimlich, denn die beiden verbindet eine gemeinsame Vergangenheit mit Schlange. Doch statt des Rätsels Lösung näher zu kommen, tauchen immer mehr Mumien auf, jetzt sogar in Tenochtitlan selbst…

Autor und Zeichner Hub (d.i. Humbert Chabuel) wurde bekannt durch seine historische Japan-Serie „Okko“, die bei Carlsen in fünf Doppelalben erschien. Sein neues Projekt, das er wieder in Personalunion schreibt und zeichnet (bei „Aslak“ fungiert er „nur“ als Co-Autor) kann man getrost als monumental bezeichnen. Alleine der erste Band ist 180 Seiten dick, insgesamt soll die Reihe drei Ausgaben mit insgesamt etwa 500 Seiten umfassen. Das Setting ist wie bei „Okko“ wieder historisch, auch wenn es in einem gänzlich anderem Kulturkreis angesiedelt ist, den man in Comics selten findet und der für Europäer dennoch mindestens ebenso exotisch anmutet wie das alte Japan: das Aztekenreich mit seiner fremden Kultur, in der das Rad nicht erfunden ist und Konquistadoren noch nicht ganze Arbeit geleistet haben. Dabei ist nicht nur die übergeordnete Krimi-Handlung episch angelegt. Auch die Hauptpersonen lernt erst man nach und nach kennen – Hub nimmt sich sehr viel Zeit, Platz und Sorgfalt, die Story, die Charaktere und deren Verbindungen untereinander zu entwickeln.

Die Hauptakteure sind drei Schulkollegen. Schlange, der grausame Ordnungshüter mit dem deformierten Schädel hatte damals in der Jugend schon Cozatl und Augen-Speer gegängelt, wo es nur ging. Und während Cozatl zum Feuerpriester der Regengottheit Tlaloc aufstieg, der regelmäßig Menschen geopfert werden, verließ Augen-Speer die Stadt (warum ist noch unklar) und seine Schwestern, um als Handlungsreisender Karriere zu machen. Bis er von seinem alten Freund in die Pflicht genommen wird und diesen offenbar heiklen Detektiv-Job erhält. Zahlreiche Rückblenden erhellen nach und nach die Geschichte der drei Herren, wobei bald klar wird, dass es hinsichtlich der Mumien eine Verbindung – mindestens zu Augen-Speer gibt. Die gruselige Mordserie umgibt dabei einen unheimlichen, gar dämonischen Touch, der fast ins Übersinnliche gleitet. Die gefundenen Mumien blicken alle in Richtung Tenochtitlan und es dauert weit mehr als hundert Seiten, ehe der Leser gemeinsam mit Augen-Speer eine der Toten identifizieren kann und die Grausamkeiten erfährt, die ihnen zugefügt wurden.

Der Band bietet viel mehr als eine vordergründige, unheimliche Krimi-Story. Er porträtiert auch die Gepflogenheiten und den Alltag der Azteken und ist demnach mit Sicherheit akribisch recherchiert (was Hub im erläuternden Nachwort auch bestätigt), zumindest soweit dies möglich ist. Er baut einerseits ein gewaltiges kriminalistisches Mysterium auf und lässt den Leser dabei tief in die Kultur eintauchen, beides wird nie langweilig. Das liegt auch an den Zeichnungen, die eine gnadenlose Eleganz und Opulenz verströmen. Während die Gesichter und Köpfe leicht funny-mäßig stilisiert daherkommen, strotzen Kleidung, Ornamentik, die üppige Natur und natürlich das auf einem See gebaute monumentale Tenochtitlan (auf dem nach der Zerstörung durch Cortés das heutige Mexico-City entstand) nur so vor Details. Und das alles in bunt, wunderbar farbenfroh und dennoch stimmig (die Farben stammen wie schon bei „Okko“ von Koloristin Li – Hubs Frau). Wie es weitergeht? Wir sind extrem gespannt, denn nicht alle Zweige, die die Story einschlägt, werden klar, dafür gibt es immer wieder Überraschungen. Wunderbar. (bw)

Schlange und Speer, Band 1: Schatten-Berg
Text: Hub
Bilder: Hub, Li (d.i. Sophie Uliana)
184 Seiten, Hardcover
Splitter Verlag
35 Euro

ISBN: 978-3-96219-560-1

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