Aufruhr im Hause Rummelsdorf: anstatt sich der bitter nötigen Renovierung seines Anwesens widmen zu können, bei dem dringend eine Mauer weg müsste, erhält der Forscher eine Einladung zum Mykologen-Kongress. Soweit, so unspannend, bis auf den Austragungsort: der ist nämlich in Ost-Berlin, und nachdem wir das Jahr 1989 schreiben, ist das durchaus noch eine Reise ins Unbekannte, mitten in den damals noch real existierenden Ostblock. Die Abreise gestaltet sich dann in der Tat unsanft, worauf Spirou und sein immer auf eine gute Story bedachter Kumpel Fantasio sich schnurstracks auf den Weg in Richtung Deutsche Demokratische Republik machen. Dort werden sie nach einem standesgemäß ruppigen Empfang im besten Hotel am (Alexander) Platz untergebracht, wo Spirou gerade noch sieht, wie eine verdächtig nach Rummelsdorf aussehende Figur in einen Aufzug verschleppt wird. Relativ bald machen auch Spirou und Fantasio Bekanntschaft mit dem wahren Gesicht der nach außen so freundlichen wirkenden Pseudo-Republik: Fantasio landet in Stasi-Haft, während Spirou über die junge Momo Kontakt zu einer Untergrund-Gruppe aufnimmt, die bei der illegalen Ausreise behilflich sein könnte…
Dass es nachgerade einer Sensation gleichkam, dass der Verlag Dupuis die Geschicke seiner wohl bekanntesten Figur erstmals auch in deutsche Hände gab und dass der gute Flix dabei eine mehr als achtbare Leistung ablieferte, das haben wir anlässlich der Hardcover-Erstausgabe an gegebener Stelle schon hinreichend gewürdigt. Auch der zweite Blick, den wir in der nun vorliegenden Alben-Variante im Rahmen der Spezial-Reihe auf das Werk werfen dürfen, zeigt die Vielschichtigkeit, mit der sich Flix der Materie nähert. Dass der erste Spirou-Band einzig und allein in der Spree-Metropole spielen durfte, das war klare Vorgabe des Verlags und traf sich blendend mit den Ideen des Berliner Szene-Aushängeschildes. Auch die Tatsache, dass Spirou bei allen „Specials“ außerhalb des Serien-Kanons definitiv im Zentrum des Geschehens stehen und die Chose niemals in eine Parodie abdriften darf, auch diese Leitplanken kamen Flix durchaus zu Pass, der nach eigenen Worten dennoch Respekt vor der Aufgabe hatte: „Was mich sehr beschäftig hat war die Frage: wie gestalte ich einen Berlin-Band, der Berliner nicht langweilt, für Nicht-Berliner interessant und für Franko-Belgier verständlich ist?“
Mit dem Kunstgriff, das Geschehen in eine durchaus bedeutsame Phase deutscher Zeitgeschichte zu verlegen, gelingt Flix dieser Spagat ganz wunderbar. Dabei wirft er als Ost-Berliner durchaus einen mehr als kritischen Blick auf die oft von Ostalgie verhangene Realität eines Unrechtsstaates, der völlig heruntergewirtschaftet schließlich durch die friedliche Revolution implodierte. Hinter der hübschen Fassade steht die stoisch ertragene Mangelwirtschaft, in der eine Ladenbetreiberin feststellt: „Keine Äpfel haben wir morgen wieder. Heute haben wir keine Bananen“. Auch im besten Hotel der Stadt ist die Technik seit Wochen im Eimer, die Stasi – inklusive Herrn Mielke – lauert an jeder Ecke, und Momo (die wie ihre Namensvetterin in Michael Endes Roman ihrerseits gegen „graue Herren“ kämpft) nennt die DDR klar eine Diktatur, in der die Willkür weniger regiert: „Dass die Regierung uns enteignet, liegt in der Natur des Sozialismus. Dass sie uns von hinten bis vorne anlügt, vielleicht auch. Aber ein neuer Krieg?“
Aber natürlich gestaltet Flix nicht alles Grau in Grau, sondern lädt seine furiose Agentengeschichte mit zahllosen Verweisen und Easter Eggs auf, von Graf Rummelsdorfs Forderung, dass die Mauer (in seinem Haus) weg muss, Mielkes Feststellung, wichtig sei, was hinten rauskommt, bis hin zu dem mit der Marsupilami-Hommage „Huba Buba!“ trainierten Affen Boris, der permanent „Bum Bum“ ruft und am Ende sogar noch ein Ass landet. Dass diese wunderbare Mischung aus bunter Action und nachdenklichen Tönen zum furiosen Erfolg avancierte und mittlerweile sogar – quasi als ultimativer Ritterschlag – bei Dupuis sogar auf in französischer Sprache erschien, das sei Flix mehr als gegönnt, der ans Ende des Geschehens eine Mahnung zum friedlichen Protest stellt, was eigentlich immer aktuell ist. (bw)
Spirou und Fantasio Spezial, Band 31: Spirou in Berlin
Text: Flix
Bilder: Flix, Marvin Clifford (Farben)
64 Seiten, Softcover
Carlsen Verlag
12 Euro
ISBN: 978-3-551-72119-8