Spirou und Fantasio Spezial, Band 30 (Carlsen)

Oktober 20, 2020
Spirou und Fantasio Spezial, Band 30: Spirou bei den Sowjets (Carlsen Verlag)

Entführt! Der Graf von Rummelsdorf wurde offenbar gekidnappt. Schnell finden Spirou und Fantasio eine Spur – und die führt direkt in die Sowjetunion. Hinter den Eisernen Vorhang. Denn wir schreiben die Fünfziger Jahre, die Zeit des Kalten Krieges. Um ihren Freund befreien zu können, greifen die beiden zu einer List. Wie einst ein pfiffiger Reporter wollen sie eine Reportage über die UdSSR schreiben und dazu natürlich direkt vor Ort recherchieren. Tatsächlich gelingt es ihnen, ihren Chef, Herrn Carlsen (im Original Monsieur Dupuis), zu überzeugen. Ausgestattet mit diversen Gimmicks und falschen Presseausweisen für das kommunistische Magazin „Vaillant“ (aus dem viel später ein deutscher Ableger namens YPS hervorging) fliegen sie nach Moskau, wo sie von ihrer ständigen Begleiterin und Aufpasserin Natalja empfangen werden. Während Fantasio mit der Dame eine veritable Wodka-Sause feiert, findet Spirou mit Hilfe von Pips eine erste Spur, die direkt zum Moskauer Hirninstitut führt. Tatsächlich spürt er dort den Grafen auf, doch der scheint völlig vom kommunistischen Geist durchdrungen…

„Spirou bei den Sowjets“, der aktuelle Band in der Spezial-Reihe, erinnert natürlich bereits im Titel an das klassische erste Abenteuer von Tim und Struppi („Tim im Lande der Sowjets“, 1929), das Hergé entgegen seiner sonstigen Gepflogenheiten nie überarbeitete. Eine kleine Hommage dazu findet sich gleich zu Beginn, als Fantasio ein Exemplar von „Le Petit Vingtième“ zeigt, in dem Tims Russland-Erlebnisse abgedruckt wurden. Überhaupt bietet die erste Hälfte des Bandes eine muntere Mischung aus origineller Story (Rummelsdorf soll bei der Aktivierung des neu entdeckten Kommunismus-Gen helfen, wobei einmal mehr seine Kenntnisse als Mykologe benötigt werden), gelungenen Anspielungen (Spirou und Fantasio treffen auf einen misslaunigen Bruchmüller samt anschließender Gaston-Katastrophe) und vor allem typischen Russen-Klischees, die (nicht nur) zu jener Zeit gerne gepflegt wurden (Nataljas mächtige/männliche Statur und ihre Wodka-Immunität). Gleiches gilt auch für den überdrehten Mad Scientist Lyssenko und seine weitreichenden Pläne. Und Spirous Eindringen in das streng bewachte Labor sorgt obendrein für Spannung.

Die zweite Hälfte des Bandes zeigt dann einen komplett anderen, auch ernsteren Charakter. Beginnend mit Spirou, Fantasio und Natalja, die per Bahn nach Sibirien ins Gulag verfrachtet werden und ihre anschließende unliebsame Begegnung mit der Lagerleiterin, die in Belgien (Stichwort Atomium) war und Pommes liebt. Jetzt wird es auch actionreicher und sprunghafter. Alles geht sehr schnell, auch mit Getöse und Klamauk und mündet in Exkurse in extremen Kommunismus und Kapitalismus, was auf Kosten der Story geht, die dann vor allem gegen Ende zu forsch vorangetrieben wird. Autor und Spirou-Kenner Fred Neidhardt arbeitete bereits als Kolorist am Spezial-Album „Die Gruft derer von Rummelsdorf“ mit (Band 6), der ebenfalls von Fabrice Tarrin („Violetta“ bei Carlsen und Finix) gestaltet wurde. Tarrins Stil schwebt angenehm zwischen Tradition und Moderne und punktet in nächtlichen Szenen genauso wie bei der Inszenierung des eisigen Sibiriens. Ein Spezial-Abenteuer mit Licht und Schatten, das v.a. durch seine Originalität punktet. Wie immer schließen einige redaktionelle Seiten mit Hintergrundinfos und Abbildungen den Band ab. (bw)

Spirou und Fantasio Spezial, Band 30: Spirou bei den Sowjets
Text: Fred Neidhardt
Bilder: Fabrice Tarrin
64 Seiten, Softcover
Carlsen Verlag
12 Euro

ISBN: 978-3-551-77639-6

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