Nach dem dramatischen Finale des letzten Bandes wird Andy tatsächlich von „Mutters“ Schergen gerettet, nur um anschließend als Vampirfutter eine neue, nicht minder düstere Bestimmung verpasst zu bekommen. Seine Tochter Mila konnte inzwischen mit Telsa auf deren Kahn übers Meer fliehen und ist jetzt auf sich alleine gestellt. Mittels Zauberei erfährt Mutter, die despotisch und mit mächtiger Magie über die Welten des ehemaligen UGC (United Galactic Council) herrscht, von den Fluchtgründen Andys und will außerdem Bandit, den Roboterhund, schnappen. Denn Robotertechnik und aufrührerische Tendenzen gilt es im Keim zu ersticken. In der Gefangenschaft entdeckt Andy tatsächlich seine tot geglaubte Effie wieder, die Mutter Milas, die jedoch inzwischen zur Vampirin wurde und Mutters Ideologie treu ergeben ist. Während nach einer ereignisreichen Überfahrt Mila und Telsa deren verborgenes Raumschiff erreichen, stellen vermeintliche UGC-Rebellen Mutter eine Falle – doch wie so oft ist nichts so, wie es scheint…
Im zweiten Band seiner Nachfolge-Reihe zu „Descender“ zieht Star-Autor Jeff Lemire langsam seine alte Crew wieder zusammen. Immer mehr bekannte Charaktere aus der Vorserie tauchen auf, verändert und gezeichnet von den Ereignissen in den vergangenen zehn Jahren. Dabei erfahren wir in Rückblicken mehr über Telsa, auch warum sie sich nun sichtlich desillusioniert aus allen fremden Angelegenheiten raushalten will. Dazu wird ausführlich von Lemire geschildert, wie Mutter zur Herrscherin wurde – auch hier inklusive der ein- oder anderen Überraschung, die relevant für die zukünftige Entwicklung der Handlung werden dürfte. Die Geschichte der bösen Magierin und die Bilder, die Dustin Nguyen dazu kredenzt, erinnern an Motive mit Märchen-Hexen, die in finsteren Hütten über rußigen Feuerstellen unheilvolle Tränke brauen. Oder wie im Falle von Andys Kerker an schummrige Alchimisten-Laboratorien – wieder ein Gegensatz zum metallisch-glänzenden Science Fiction Design von „Descender“. Überhaupt – wie die Magie in nur zehn Jahren in die Welt Einzug hielt, scheint zum zentralen Thema der Reihe zu werden.
Manches Mal treibt Jeff Lemire der Logik zum Trotz die Story schnell voran, beispielsweise als Mutter plötzlich ohne ihr lebendiges Schiff zwischen den Planeten reisen kann. Doch ehe man als überrumpelter Leser*in dies infrage stellen mag, sind wir inhaltlich schon ganz woanders, und werden Zeuge von Mutters Aufstieg, der auch hier märchenhaft als typische Aschenputtel-Geschichte inszeniert und illustriert wird, nur eben auf der dunklen Seite der Macht. Obwohl Lemire wieder jedes Kapitel mit einem veritablen Cliffhanger abzuschließen weiß, ist der Band insgesamt etwas „unrunder“ als der Erstling (oder „Descender“), denn der Fortgang der Story ist weniger homogen als noch in Band 1 (die erklärenden Rückblenden; Dramen, die relativ schnell abgehandelt werden). Dennoch gibt es regelmäßig neue Mysterien zu bestaunen (wer verbirgt sich hinter dem maskierten „Blutschrotter“ Kanto?) und am Ende schmunzelt man gerne über den unerwarteten Auftritt eines alten „Descender“-Lieblings. Dass Dustin Nguyens einzigartig zarte und treffliche Aquarellbilder jede Schwäche in der Story wettmachen, ist dabei natürlich gerne gesehen. (bw)
Ascender, Band 2: Das Tote Meer
Text: Jeff Lemire
Bilder: Dustin Nguyen
128 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
19,80 Euro
ISBN: 978-3-96219-375-1