Gaston: Glückwunsch, Gaston! (Carlsen)

Januar 5, 2018

Kinder, wie die Zeit vergeht – nur, dass man das den lieben Comicfiguren eben nicht ansieht (uns natürlich auch nicht, aber das ist ja auch etwas vollkommen anderes). Und so sieht der chaotische Bürobote, der das Verlagshaus Dupuis unsicher macht, so frisch aus wie am 28. Februar 1957, als Altmeister André Franquin dieses kleine Stück Anarchie auf die Leser von Spirou losließ. Mit Gaston Lagaffe lieferte der Vater des modernen Spirou – bis 1967 noch gemeinsam mit Co-Autor Jidéhem – ganz bewusst einen frechen, subversiven Gegenpart zu den aufrechten Detektiven, Reportern, Büropagen, Forschern und treuen Hunden, die die franko-belgische Szene ansonsten bevölkerten. Lange bevor die Hippie-Szene einen Namen bekam, lavierte sich Gaston durch den Tag, vermied seine eigentliche Arbeit wo es ging und beschäftigte sich viel lieber mit spaßigen Erfindungen und seinem ewig zusammenbrechenden Auto, einem schrottreifen Fiat 509. Der stets liebenswerte Chaot fand so seinen Weg zunächst in die Spirou und Fantasio-Alben und schließlich sogar in seine eigene Serie, die bis zum Tode Franquins 1997 erschien.

Mit den hier vorgelegten 60 Gags aus 60 Jahren Gaston können wir amüsiert nochmals die ganze Parade von Motiven, Running Gags und Personen Revue passieren lassen, die die Serie über die Jahre kennzeichneten. Da ist etwa der ebenso arbeitsscheue Alfons von gegenüber, mit dem Gaston das Besprechungszimmer kurzerhand zum überdimensionierten Billard-Tisch umfunktioniert, der ewig tobende Wachtmeister Knüsel, den Gaston und Alfons zur Weißglut treiben (einmal fliegt Gastons Auto dank Luftballon gerade noch rechtzeitig aus dem Parkverbot, dann funktionieren die beiden Chaoten ein Parkverbotsschild in genau den Riesenlutscher um, den Knüsel ironisch immer herbeizitiert), oder auch der permanent am Rande des Nervenzusammenbruchs stehende Verlagschef Demel, der Gaston vergeblich zu disziplinieren sucht. Der Erfindungsreichtum des vermeintlichen Büroboten kennt dabei keine Grenzen: von einer Wasserbahn quer durch die Redaktionsräume für seinen Goldfisch Blubbblubb bis hin zu markerschütternden Musikinstrumenten wie dem infernalischen Gastophon ist alles geboten.

Neben den vielen Sight Gags, die teilweise auch die handgreifliche Szenerie von Clever & Smart beeinflusst haben dürften, steht dabei allerdings auch eine hintersinnige durchgängige Meta-Ebene über die Arbeit in einem Verlagshaus. Nicht umsonst ist Gaston im tatsächlich existierenden Dupuis-Verlag (in der deutschen Fassung folgerichtigerweise zuerst bei Kauka, dann bei Carlsen) tätig, wo zunächst Fantasio selbst sein Chef ist und man vergeblich um immer neue Verträge mit dem Auftraggeber Bruchmüller ringt, deren Unterzeichnung Gaston oft im letzten Moment unwissentlich zu Nichte macht. Auch auf seine anderen Geschöpfe verweist Franquin gerne, der Gaston etwa in einem Traum mit der ihn anhimmelnden Fräulein Trudel direkt im Nest im Urwald bei den Marsupilamis landen lässt. Dieser vergnügliche Kommentar über das hektische Verlagswesen kommt am deutlichsten in dem Strip zu Tage, in dem Gaston als Reaktion auf die Reise von Voyager 1 sogar ins All geschickt wird: das könne man doch nicht machen, empört sich da ein Lektor, das vermittle der jugendlichen Leserschaft doch ein völlig falsches Bild, jetzt sei die Fantasie ja wohl endgültig mit Franquin durchgegangen, den wir prompt als Stimme aus dem Off vernehmen: „Wir wollen unseren Spaß haben! Ein bisschen rumspinnen! Lassen Sie uns unsere Fantasien, beim Barte des Jupiter!“

Da fühlt man sich fast schon an den Brechtschen Kunstgriff der durchbrochenen vierten Wand erinnert, mit der ja auch ein Deadpool so gerne hantiert. Durchgängig unverkennbar ist dabei der feine, detailreiche Strich Franquins, der ihn neben Hergé zu den stilprägendsten Zeichnern der franko-belgischen Szene macht und den anarchischen Spaß in allen Einzelheiten auskostet. Nach der mächtigen Gesamtausgabe „Der ganze Gaston“, die 2015 erstmals alle Abenteuer plus bisher unveröffentlichtes Zusatzmaterial in fünf Bänden auf Deutsch brachte, liefert diese Geburtstagsparty, die im Original als „Gaston Lagaffe 1 – L’anniv‘ de Lagaffe“ erschien, ein schönes Best Of, das entweder ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten oder das erste Zusammentreffen mit diesem subversiven, chaotischen Gesellen ermöglicht – wozu Gaston sicherlich sagen würde: „Was denn?!“ (hb)

Gaston: Glückwunsch, Gaston!
Text: André Franquin, Jedéhem
Bilder: André Franquin
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
14,99 Euro

ISBN: 978-3-551-76750-9

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